Das Leben danachWas tun nach einem Studienabbruch?
Von Jens Wernicke

„Welcome on Board“: Auch jene, die frühzeitig Ihr Studium abbrechen, sind gern gesehene Kollegen
„Es gibt ein Leben nach der Uni“, überschrieb SPIEGEL ONLINE vor einigen Jahren eine Fotostrecke über prominente Studienabbrecher. Ganz vorne mit dabei war Bill Gates, der der Harvard-Universität und seinem dort begonnenen Mathematikstudium nach eigenen Angaben zugig den Rücken kehrte. Zu den Gründen erklärte er: „Auf der Uni ist Angeben angesagt, und dass man cool war, konnte man besonders dadurch beweisen, dass man das Studium nachlässig betrieb“.
Derlei Argumente kommen heutigen Studienabbrechern eher nicht in den Sinn. Ihre Gründe für einen „Abbruch“ sind schwerwiegender. Dabei wird die Entscheidung, ein Studium abzubrechen, in der Regel nicht allein durch ein Motiv bestimmt. Ein Motiv ist jedoch oft das letztlich Ausschlaggebende.
Unsere Artikel zum Studienabbruch
Gründe für einen Studienabbruch
Nach einer Studie der Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) sind es vor allem drei Motive, die dabei insgesamt im Vordergrund stehen:
„20 Prozent aller befragten Studienabbrecher fühlen sich den Anforderungen des Studiums nicht gewachsen und geben daher Leistungsprobleme als Grund für den Studienabbruch an. Zählt man die 11 % der Studienabbrecher hinzu, die das Nichtbestehen von Prüfungen als Abbruchgrund nennen, so sind 31 % der Studienabbrecher aus Gründen der Überforderung gescheitert. Dies ist ein Anstieg von 11 % im Vergleich zum Studienjahr 2000.
Probleme der Studienfinanzierung führten für 19 % der Befragten zum Studienabbruch. Dahinter verbergen sich neben finanziellen Schwierigkeiten zunehmende Probleme, eine zur Finanzierung des Lebensunterhalts notwendige Erwerbstätigkeit und das Studium miteinander zu verbinden.
Von ähnlich großer Bedeutung (18 %) ist das vorzeitige Beenden des Studiums aufgrund mangelnder Studienmotivation. Diese Studierenden haben sich mit falschen Erwartungen an die fachlichen Inhalte und die Bedingungen und Anforderungen des Studiums immatrikuliert.“
Diese drei Motive geben den Ausschlag für mehr als zwei Drittel aller Studienabbrüche (siehe bei Interesse auch weiter unten Übrigens: Studienabbruch und soziale Herkunft). Vermehrt kommt es zudem zu Studienabbrüchen aufgrund schlechter Studienbedingungen (12 % gegenüber 8 % im Jahr 2000):

Nicht „schuld“, aber in der Verantwortung
Das Spannende an diesen Daten ist dabei vor allen dies: Sie offenbaren, dass in aller Regel das vermeintliche „Versagen“ hinter einem Studienabbruch gar kein solches, mindestens aber kein einzig "persönliches" ist. Denn für die familiären oder finanziellen Probleme, für Studienbedingungen oder Krankheit trägt man selbst kaum irgend Verantwortung. Und auch jene Probleme, die sich aus mangelnder Motivation, aus Leistungsnöten und Prüfungsversagen ergeben, sind nur zum kleineren Teile „hausgemacht“. Für seine Leistungsfähigkeit, seine Stresskompensationsmöglichkeiten, ja, für seine Lebens - und Prüfungsängste kann man eben nicht wirklich etwas. Außer eines: Verantwortung für diese zu übernehmen.
Und, mal ehrlich: Bei dem immer stärker ausgeprägten Leistungs- und Konkurrenzdruck an deutschen Hochschulen ist es manches Mal wohl sogar die beste Entscheidung, nach einem oder auch ganz ohne den Versuch, mittels Coaching, Beratung oder Therapie das eigene „Output“ zu erhöhen und wieder stressresistenter zu werden, diesem Hamsterrad zu entfliehen und sich auf die Suche nach Neuem zu begeben. Nach etwas vielleicht, dass wieder mehr „Sinn“ verspricht, weniger ängstigt und dafür mehr nährt denn aufzehrt.
Studis Online hatte diesbezüglich schon vor einigen Jahren unter dem Titel „Tipps gegen studentische Depression und Überforderung“ darauf hingewiesen, wie sehr „studentische Krisen“ auch von Umfeld und Rahmenbedingungen determiniert sind:
„Das Auseinanderklaffen von dem, was eigentlich an den Hochschulen möglich und wünschenswert ist, und jenem, was dort tagtäglich geschieht, ist wohl das zentrale Problem eben dieser Einrichtung und somit der Studierendenschaft. Unter ihm leiden all jene, denen das Monologisieren von DozentInnen und die diskussionsfeindlichen Veranstaltungs-Strukturen, die stets dafür sorgen, dass eigene Interessen, Sorgen und Bedürfnisse dem Studium äußerlich bleiben, zunehmend die Lust am Studieren austreiben.“
Krise als Chance zur Veränderung
Das mag auf den ersten Blick und in der jeweiligen Situation kaum fassbar oder fühlbar sein. Oft ist es aber so, dass gerade die „Krisen“, die wir zu meistern haben, wenn wir scheitern und uns hiernach neu finden und erfinden müssen, uns zu Wachstum und Entwicklung anhalten und ein Stück näher heranführen an unser persönliches Glück.
Wichtig ist daher, in der Phase des „Umbruchs“ nicht die Nerven zu verlieren, ruhig und bedacht zu handeln, sich helfen zu lassen – und vor allem eines: Nach seinen Stärken und Potentialen, Wünschen und Träumen Ausschau zu halten sowie sich zu überlegen, was man gut kann, sich wünscht und im Leben noch erreichen mag. In aller Regel wird die Antwort hierauf dann nicht sein: das, was ich gerade am Abschließen bin. Ein guter erster Schritt zur Selbstreflexion ist sicher, wenn dies möglich ist, eine Auszeit in Verbindung mit der notwendigen Selbstreflexion. Eins der Bücher, die hierbei zu unterstützen vermögen, ist Finde den Job, der Dich glücklich macht. Von der Berufung zum Beruf.
„Die erfahrene Karriereberaterin Angelika Gulder unterstützt seit Jahren Menschen erfolgreich bei der beruflichen Neuorientierung. Ihr eigens entwickelter Karriere- Navigator ist ein fundiertes Coachingprogramm, das den Menschen als Ganzes im Blick hat: Bei der Suche nach der sinnstiftenden, erfüllenden Aufgabe – der Berufung – werden persönliche Vorlieben und Leidenschaften ebenso berücksichtigt wie lang vergessene Kindheitsträume. Für Berufsum-, Auf- und Einsteiger geeignet!“, heißt es im Klappentext. Und die Stiftung Warentest, die das ähnlich sieht, hat dem Buch sogar das Siegel „sehr empfehlenswert“ verliehen. Es kann dabei helfen, jenseits falscher Vorstellungen von sich, jenseits von Ideen, was für einen richtig sein „müsste“, herauszubekommen, was einen wirklich trägt – und welche Arbeit einen mit Freude zu erfüllen vermag.
Dazu rät auch Achim Meyer auf der Heyde, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks (DSW):
„Es ist eine völlige Neuorientierung notwendig: Was will ich wirklich? Wo sehe ich mich in fünf, zehn oder 20 Jahren? Diese Frage muss jede und jeder individuell für sich beantworten und dann nach vernünftigen wie konstruktiven Lösungen suchen.“
Sich nicht kleinmachen, aber auch nicht kleinkriegen lassen
Wie viel Studienabbrecher, die das in aller Regel selbst gar nicht so sehen können und zu würdigen verstehen, tatsächlich auch ohne Abschlusszertifikat bereits können und vermögen, bestätigte unlängst auch eine Untersuchung des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI). In dieser heißt es unter anderem: „Auch wenn Studienabbrecher zunächst ohne Abschluss das tertiäre Bildungssystem verlassen, sind sie in der Regel Personen mit hohem Potenzial, welches vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung adäquat auf dem Arbeitsmarkt eingesetzt werden muss.“
Die Studie attestiert allen Studienabbrechern, dass sie eben auch ohne formalen Abschluss in den Genuss von so viel sozusagen „informeller Bildung“ gekommen sind, dass sie in der Regel (oft auch ohne dies zu wissen) über so viele Kompetenzen und Fähigkeiten verfügen sowie eine solche Fülle an Wissen besitzen, dass sie, wo man sie richtig einzusetzen weiß, wertvolle Fach- und Arbeitskräfte sind.
Angebote explizit für Studienabbrecher
Auf der Suche nach einer „neuen Zukunft“ können sich Studienabbrecher alsdann nicht nur an die „üblichen Institutionen“ (Arbeitsamt etc.) wenden. Nein, es gibt inzwischen sogar Angebote ganz explizit für sie.
So beispielsweise die Beratungsseite Studienabbrecher.com, 2001 von Studierenden gegründet. Abbrecher können hier eigene Profile anlegen, Fähigkeiten und Fertigkeiten eintragen, die sie inner- wie außerhalb der Hochschule erworben haben und so auf die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz gehen. Die immer größer werdende Zahl an Unternehmen, die dringend gute Mitarbeiter suchen, können hier dann Arbeitskräfte finden, die sonst kaum zu finden wären. Auf der Startseite des Projekts heißt es denn auch selbstbewusst: „Seit mehr als 10 Jahren, mit mehreren tausend Vermittlungen, ermöglichen wir Unternehmen qualifizierte Mitarbeiter, ohne Abschluss aber dennoch mit umfangreichem Fachwissen, zu finden.“ (Stand: 23.05.2013)
Und auch die Arbeitgeber selbst werden zunehmend aktiv: In einem aktuellen Pilotprojekt bieten zurzeit in Unterfranken Betriebe Studienabbrechern eine verkürzte Ausbildung inklusive Meisterqualifikation an. Abbrecher können hierdurch eine „Turboausbildung“ absolvieren, denn seitens der Arbeitgeber werden händeringend Fach- und Führungskräfte gesucht. Es handelt sich hierbei nur um eines von mehreren Projekten, die zunehmend im Entstehen sind (siehe weiter unten zu Optionen und Anlaufstellen).
Alles in allem sollte ein Studienabbruch, sehr schwer und ängstigend er vielleicht auch fällt, daher keinesfalls ein Grund zum Aufgeben und Verzweifeln sein. Denn oft stellt er vor alle eines: die Chance zu einem besseren Neuanfang dar. Zunehmendes Wissen um eigene Bedürfnisse und Motive, kombiniert mit einer gesunden Portion Selbstbewusstsein und ein Paar Semestern Hochschulausbildung kommen bei Arbeitgebern nicht etwa schlecht, sondern in der Regel ziemlich gut an.
Auch sind Studienabbrecher Abiturienten gegenüber in Bezug auf Wissen, Praxis- sowie Lebenserfahrungen klar im Vorteil – und sollten sich dieser Stärken in möglichen Vorstellungsgesprächen auch sehr bewusst sein. Nach circa 6 Monaten sind mit drei Vierteln aller Studienabbrecher die meisten von ihnen wieder in – dann hoffentlich: „besserer“ – Ausbildung oder sogar bereits in Lohn und Brot:

Optionen und Anlaufstellen für Studienabbrecher
- JOBSTARTER-Projektlandkarte: Übersicht von laufenden Projekten zum Thema „Studienabbrecher/-in“ vom Bundesinstitut für Berufsbildung
- Internetportal Studienabbrecher.com
- SWITCH – verkürzte Berufsausbildung für Studienabbrecher (Stadt, IHK und Arbeitsagentur Aachen)
- Your Turn: Ausbildung im Schnelldurchlauf (IHK Berlin)
- Neustart mit Ausbildung! (IHK Hannover)
- Projekt „Finish IT 3.0“ in vom CyberForum e.V. in Karlsruhe
- Karriereprogramm Handwerk: Vom Campus in den Chefsessel (Würzburg/Unterfranken)
Bis zum Jahr 2015 hatte der Berliner Senat eine unabhängige Beratungsstelle für potentielle Studienabbrecher_innen finanziert. Studis Online hatte 2014 darüber berichtet:
Unsere Artikel zum Studienabbruch
Mehr Artikel und Studien zum Thema
- Artikel von ZEIT-Online vom 7. Mai 2012: „Bologna-Reform lässt Anteil der Studienabbrecher steigen“
- SPIEGEL JOB 1/2013: „Einsteigen, Aufsteigen, Aussteigen“
- Studie des Reemtsma Begabtenförderwerkes „Studienfinanzierung als wichtiger Faktor der Entscheidungsfindung für die Aufnahme bzw. den Abbruch eines Hochschulstudiums“ (PDF)
- Studie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi): „Berufliche Integration von Studienabbrechern vor dem Hintergrund des Fachkräftebedarfs in Deutschland“
Übrigens: Studienabbruch und soziale Herkunft
Studierende mit niedriger sozialer Herkunft stellen nur 12 % der Hochschulabsolventen, aber 16 % der Studienabbrecher. Studierende mit hoher sozialer Herkunft stellen 37 % der Hochschulabsolventen, aber nur 31 % der Studienabbrecher. Es ist also ein deutlicher Einfluss der sozialen Herkunft auf den Studienabbruch vorhanden.
Auch die Motivlage für einen Studienabbruch scheint abhängig zu sein von der sozialen Herkunft. So gaben aus der niedrigen sozialen Herkunftsgruppe überproportional viele Studierende an, aus finanziellen und gesundheitlichen Gründen das Studium abgebrochen zu haben. Letzteren Grund führen Studien darauf zurück, dass diese Gruppe sich aufgrund ihrer Bildungsbiographie in einer besonderen Anspannungs- und Anforderungssituation befände.
Soziale Herkunft nach Exmatrikulationsgruppe (in Prozent) | ||
Soziale Herkunftsgruppe | Studienabbrecher | Hochschulabsolventen |
---|---|---|
untere | 16 | 12 |
mittlere | 22 | 20 |
gehobene | 31 | 32 |
hohe | 31 | 37 |
(Ulrich Heublein, Heike Spangenberg, Dieter Sommer: Ursachen des Studienabbruchs. Analyse 2002, S. 46) |
Redaktioneller Hinweis:
Dieser Artikel wurde am 23. Mai 2013 veröffentlicht – am oben genannten Datum wurden zuletzt die Links aktualisiert.