Trotz vieler Errungenschaften sind Frauen am Arbeitsmarkt benachteiligt. Noch immer verdienen sie weniger als Männer und bekommen viele Jobs in höheren Etagen (Chef*in, Manager*in, etc.) schwieriger als eben jene. Doch wie arg ist die Lage zur Zeit tatsächlich? Wie kann dem auf Systemebene entgegengewirkt werden – und wie können sich Frauen trotz widriger Umstände selbst zur Wehr setzen?
Frauen werden am Arbeitsmarkt noch immer benachteiligt. Um sich dennoch zu behaupten, gibt es einige Maßnahmen und Ideale: U.a. Ziele stecken und verfolgen (klare Vision + gute Strategie, Coaching kann unterstützend wirken), sichtbar sein (Selbstmarketing kann man lernen), alte Muster ablegen (Ängste und Prägungen) und stattdessen an sich glauben.
Der Glasdeckeneffekt ist ein viel zitiertes Bild für das Phänomen, dass Frauen nicht in Führungspositionen aufzusteigen vermögen. Doch das Gleichnis suggeriert, dass die Barriere erst an der Spitze zu Tage tritt, was nicht der Fall ist: Auch auf den Karrierestufen darunter gibt es schon einen Drop-Out von Frauen und zahlreiche spezifische Herausforderungen.
Manche Frauen stehen vor höheren Hürden als ausschließlich der Benachteiligung aufgrund ihres Geschlechts: zum Beispiel wenn sie einen Migrationshintergrund haben, einer bestimmten Religion angehören, alt sind oder auch eine Beeinträchtigung haben. Dann müssen sie auf mehreren Feldern mit Vorurteilen und Hindernissen umgehen. Diese Perspektive wird in der Sozialwissenschaft als Intersektionalität bezeichnet.
Aktuelle Situation in Sachen Gleichstellung
Die Gläserne Decke
Der Glasdeckeneffekt ist ein viel zitiertes Bild für das Phänomen, dass Frauen nicht in Führungspositionen aufzusteigen vermögen. Alice Eagly – Expertin für Führung, Vorurteile, Gender-bedingte Unterschiede und Feminismus – findet die Metapher irreführend, wie sie in einem Vortrag erklärt. Denn das Gleichnis suggeriert, dass die Barriere erst an der Spitze zu Tage tritt. Doch das ist nicht der Fall: Auch auf den Karrierestufen darunter gibt es schon einen Drop-Out von Frauen und zahlreiche spezifische Herausforderungen. Warum das so ist, damit hat sich die Psychologin intensiv beschäftigt.
Feminismus? – Nein, danke!?
Eine der Schwierigkeiten ist die Tatsache, dass junge Frauen heute häufig im Glauben aufwachsen, der Kampf sei ausgefochten und Gleichberechtigung längst erreicht. Erst Jahre später stellen sie dann fest, dass sie es schwer haben, aufzusteigen. Wichtig ist, das Bewusstsein früher zu schaffen – das aber ohne zu entmutigen.
Und tatsächlich: Projekte im Bereich Frauenförderung kranken zuweilen an mangelndem Interesse seitens der Frauen! „Wie kann das sein?“, möchte man fragen. Die Zahlen sprechen doch für sich: Frauen verdienen im Durchschnitt noch immer weniger als Männer, sind häufiger von Altersarmut betroffen und besetzen weniger Führungspositionen. Die mangelnde Resonanz stützt Eaglys These: Zu Beginn der Karriere, in Schule und Studium, bemerken Frauen häufig nicht, dass der Wind am Arbeitsmarkt für sie rauer weht.
Junge Frauen werden heute mehr denn je nach den Idealen der Gleichberechtigung erzogen und glauben daran. Aber es fehlt häufig die Sensibilisierung für das, was politisch wie gesellschaftlich noch nicht erreicht ist. Und für die individuelle Notwendigkeit, sich als Frau besonders geschickt aufzustellen, um die selbst gesteckten Ziele zu erreichen.
#metoo
Nationale und internationale Medien-Diskussionen wie #aufschrei oder #metoo haben immerhin einen der Bausteine mehr in den gesellschaftlichen Fokus gerückt: Inzwischen wird über sexuelle Übergriffe – gerade auch am Arbeitsplatz – gesprochen. Sicher nicht immer auf konstruktive Art und Weise.
Aber immerhin: Das Tabu und die Zungen sind etwas gelockert. Und es wird deutlich: Sexismus ist und bleibt ein Thema – auch in der Arbeitswelt. Und geht uns alle an.
Mit einem Blick auf die Weltpolitik (bspw. Noch-US-Präsident Donald Trumps „grab 'em by the pussy“) aber auch mit einem besorgten Auge auf den erneuten Trend unter jungen Frauen, sich – der Mann verdient eh besser – aufs Leben als Hausfrau zurückzuziehen, kann man von einem Backlash sprechen. Oder auch von Postfeminismus: Der Neoliberalismus hat neue nutzbare Rollen für Frauen erschaffen.
So oder so – das Thema ist ganz offenbar nicht durch. Wo aber sind diese vielen kleinen Stellschrauben zu finden, die über Wohl und Wehe einer Karriere entscheiden?
Das bisschen Haushalt!
Natürlich ist ein Meilenstein, der im Leben vieler Frauen die Entwicklung der Karriere entscheidend beeinflusst, das Thema Familienplanung. Dass politisch in Deutschland im internationalen Vergleich eine Menge getan werden müsste, liegt auf der Hand. Eine Infrastruktur, die Gleichberechtigung fördert, ist noch lange nicht erreicht. Das fängt beim Kitaplatz an und hört beim Feststecken in Teilzeitstellen auf (Welt: So hart schlägt die Teilzeit-Falle bei Müttern zu).
Die persönlichen Entscheidungen an diesem Wendepunkt sind laut Eagly ein bedeutender Faktor auf dem Weg nach Oben. Es ist daher wichtig, weise zu wählen, wie die familiären Verpflichtungen von einem Paar organisiert werden. Dabei ist auch entscheidend, wie viele Aufgaben wer übernimmt – denn es bestimmt, wie viel Kapazität für die eigene berufliche Verwirklichung bleibt.
Und nach wie vor für die ein oder andere eine Notwendigkeit, über den eigenen Schatten zu springen. Denn nach wie vor spüren Frauen häufig mehr Verantwortungsbewusstsein für familiäre Dinge. Und dem Begriff „Rabenmutter“ ist zu entnehmen, wie die gesellschaftliche Reaktion auf weibliche Selbstverwirklichung ausfallen kann. Interessant auch, dass es kein männliches Pendant gibt…
Der kleine Unterschied
Auch wird ein und dasselbe Verhalten bei Frauen und Männern noch immer anders bewertet, berichten Eagly und andere Quellen. An Auftreten, das bei Männern Anerkennung erntet und als durchsetzungsstark gilt, macht eine Frau zur Zicke. Menschen lassen sich nicht gern etwas sagen – aber erst recht nicht von Frauen. Frauen bilden daher einen eher weiblichen, eher kooperativen Führungsstil heraus, beobachtet die Psychologie-Professorin.
Anmerkung der Redaktion: Der intersektionale Blick Manche Frauen stehen sogar noch vor höheren Hürden – zum Beispiel wenn sie eine Migrationsgeschichte im persönlichen Rucksack rumtragen, einer bestimmten Religion angehören, alt sind oder auch eine Beeinträchtigung haben. (Diese Perspektive wird in der Sozialwissenschaft als Intersektionalität bezeichnet.) Dann müssen sie auf mehreren Feldern mit Vorurteilen und Hindernissen umgehen. Hier können unterschiedliche Beratungsstellen hilfreich sein – und die Vernetzung mit anderen Frauen in einer ähnlichen Lage.
Das Bewusstsein für die Gender-spezifischen Herausforderungen im Arbeitsleben bildet die Grundlage für ein Gegensteuern. Genaues Beobachten der Stolpersteine hilft dabei, sie zu umgehen. Der erste Schritt ist also, die Augen zu öffnen: Welche Hindernisse sind individueller Natur und welche begegnen mir als Angehörige einer Gruppe, als Frau?
Sollen Frauen sich also vermeintlich wie Männer verhalten, um erfolgreich zu sein? Oder lieber nicht? Eagly hat beobachtet, dass die Imitation des männlichen Führungsstils eher nicht überzeugt. Eine Mischung aus als männlich und als weiblich bezeichnete Führungseigenschaften kommen dagegen besser an. Aber es gibt auch andere Beispiele. Zuweilen werden Vorreiterinnen in Männerdomänen auch gezwungen, die als typisch männlich angesehenen, eher dominanten Verhaltensweisen an den Tag zu legen. So oder so: Frauen müssen ihre Fähigkeiten oft eher unter Beweis stellen, bevor sie respektiert werden.
Privat ist immer noch politisch – 5 To-Do-Punkte für 👩🎓👩🏽💼👩🔬
So… Was können wir tun abgesehen von Politik? Welche eigenen Schritte können wir Frauen tagtäglich tun, um uns von all dem nicht ausbremsen zu lassen und unsere beruflichen Träume zu erreichen?
Ziele stecken und verfolgen
Wir brauchen eine klare Vision von dem, was wir erreichen wollen. Und natürlich eine gute Strategie. Dabei ist es wichtig, die eigene Szene und die Spielchen unter den Kolleg*innen zu durchschauen. Coaching kann unterstützend wirken.
Sichtbar sein
Teil der Strategie kann sein, dafür zu sorgen, dass wir in der Arbeitswelt sichtbar werden, dass unser Name genannt wird und man sich an uns erinnert. Selbstmarketing ist etwas, das nicht allen von uns in die Wiege gelegt ist – aber wir können es lernen.
Alte Muster ablegen
Wir können uns selbst dabei ertappen, wenn unser eigenes Denken und Handeln uns ausbremst – unsere Glaubenssätze, Ängste und Prägungen: Nur wenn wir selbst an uns glauben, glauben auch andere an uns – und bis dahin gilt: Fake it till you make it!
Lieber dem Reflex widerstehen und die Socken herumliegen lassen als wieder in die alten Muster der Versorgerin zu tappen und keine Zeit fürs Studium zu haben. Lieber bei Verhandlungen mal auf den Tisch hauen und die eigenen Grenzen klar abstecken als duldsam gutes Wetter zu machen und alles hinzunehmen.
Öfter mal „Nein“ sagen
„Nein“ ist die wichtigste Vokabel dabei, uns Aufgaben vom Leib zu halten, die nicht zu unserer Tätigkeit gehören, die unsere Kräfte ohne Aussicht auf Perspektive binden und weit unter unserer Kompetenz liegen. Lieber ein Risiko eingehen und proaktiv drauflos gehen: Sagen wir frei heraus, was wir uns wünschen als darauf zu warten, dass uns jemand entdeckt!
Networking betreiben
Und wir können dafür sorgen, dass das, was die Männer uns oft voraus haben, auch unser Ass im Ärmel wird: Nach wie vor ist Vitamin B ein wichtiger Faktor auf dem Weg nach oben. Männliche Kollegen leben sozusagen in einer von Natur aus vitaminreicheren Umgebung. Denn die Entscheider sind zu großen Teilen männlich. Man kennt sich, kriegt Empfehlungen oder ist sich schlicht näher, weil man der gleichen Gruppe angehört. Das können wir auch! Deshalb ist es wichtig, früh genug mit dem Netzwerken zu beginnen und Kontakte zu pflegen. Das können wir zum Beispiel durch Mentoring- und andere Förder-Programme, Praktika, Stammtische und Berufsverbände tun. Auch gibt es Programme zur Frauenförderung, die die Inner Circles bestimmter Berufswelten ganz bewusst für weiblichen Nachwuchs öffnen wollen.
Gender Trouble im Studium und in der akademischen Berufswelt
Tatsächlich ist das Studium eine günstige Zeit, um für den Beruf zu trainieren – auch zwischenmenschlich. In diesem relativ sicheren Umfeld vergrätze ich noch keine wichtigen KollegInnen, von denen meine berufliche Zukunft abhängt. Freie Bahn, um das eigene Verhaltensrepertoire zu erweitern!
Übungsfelder gibt’s genug: Wer kennt sie nicht, die (ungefragten) „Co-Referenten“!? Du hältst ein Referat, aber der Mitstudent vom Nebentisch redet ständig rein. Und du denkst wieder mal: Männer erklär`n mir die Welt! – Sieh' das doch ab jetzt einfach als Gelegenheit: Die Welt stellt dir freundlicherweise ein Testgelände zur Verfügung. Viel Spaß dabei!
Studis Online
Nach oben hin wird die Luft für Frauen dünn: Frauenanteile in der Akademischen Laufbahn 2016
Jedoch fängt insbesondere nach dem Studium die Zeit an, wo Frauen mehr Stolpersteine auf ihrem Weg finden – und weghieven müssen. Die Zahlen der akademischen Berufswelt sprechen für sich (siehe Grafik rechts bzw. oben).
Bei jedem Schritt verringert sich kontinuierlich der Frauenanteil – während die Hälfte der Absolvent*innen Frauen sind, reduziert sich der Wert rapide auf unter ein Viertel bei den hauptberuflichen Professor*innen. Und bei den gut bezahlten C4-Professuren sackt der Wert sogar auf knapp 11%. (Stand 2016)
Die Studienbedingungen sind nicht optimal für Frauen. Das trifft besonders auf den MINT-Bereich zu – darum gibt es dort inzwischen wieder einzelne sogenannte monoedukative Ansätze, wo Frauen unter sich studieren.
Auch das Hochschul- und Bildungswesen ist also kein Gleichstellungs-Paradies. Die Sache mit den Gender-spezifischen Netzwerken beginnt also schon hier: Auf die Frage, warum seine studentischen Hilfskräfte durchweg männlich waren, antwortete ein Prof. in meinem Bekanntenkreis mit den Worten: „Wir ticken ähnlicher – so läuft die Zusammenarbeit besser.“
Außerdem ein guter Ansprechpartner:
Die Stabsstelle für Gleichstellung an deiner Hochschule. Wer nicht mehr studiert, sollte sich vor Ort erkundigen, ob die Kommune ein Gleichstellungsprogramm anbietet.
„Stutenbissigkeit“? vs. Gemeinsam stark
„Stutenbissigkeit“?
Einschränkend muss aber auch erwähnt werden: Frauen sind oft die härtesten Schwellenhüter für Frauen. Die Menschen, denen ich mich in meiner Laufbahn am stärksten beweisen musste, damit sie mir nicht mehr die Türen versperrten, durch die ich gehen wollte ... waren Frauen.
In diesem Zusammenhang kursiert das Bild der verbitterten Karrierefrau: Weil sie sich alles hart erkämpfen musste, gönnt sie ihren Geschlechtsgenossinnen nicht, es – angeblich – leichter zu haben. Dieses Phänomen wird im Alltagssprachgebrauch als „Stutenbissigkeit“ bezeichnet (Süddeutsche Zeitung: Ziemlich beste Freundinnen?). Und es wirft sicher die Frage auf, ob dasselbe Verhalten bei Männern mit ähnlich abschätzigen Vokabeln aus der Tierwelt belegt werden würde. Glucken dürfen wir Frauen nicht sein, Stuten aber auch nicht – was denn nun!?! Der starke Hengst ist ja schon vergriffen.
Es liegt bei uns, ob wir im Konkurrenzkampf um die Brocken, die Mann uns hin wirft, verharren. Oder ob wir anderen ein Vorbild an Freiheit sind, und es als einen gemeinsamen Kampf begreifen, in dem wir an einem Strang ziehen. Der gesellschaftliche Veränderungsprozess dient ja letztlich allen.
Turid Müller – Schauspielerin und Diplompsychologin – arbeitet an den Schnittstellen von Kommunikation und Kreativität. Unter anderem als Leiterin von Kreativitäts- & Präsentationstrainings.
Tatsächlich deuten empirische Befunde darauf hin, dass Unternehmen mit einem stärkeren personellen Gleichgewicht zwischen Männern und Frauen erfolgreicher sind. Vielleicht auch deshalb, weil Diversität immer einen Zugewinn an einer Vielzahl unterschiedlicher Perspektiven mit sich bringt, mutmaßt die amerikanische Sozialpsychologin Eagly. Das sichert ein Unternehmen gegen Risiken ab und weitet den Blick. Zum Glück erkennen das immer mehr Entscheider.
Dennoch: Vor uns liegt noch ein langer Weg. Individuelle Entscheidungen mutiger Männer und Frauen sind das Pflaster, aus denen er sich zusammensetzt. Und es ist wichtig, dabei nicht aus dem Blick zu verlieren, dass diese Steine auf einen Boden treffen, den die Politik bereitet hat. Damit hier nicht auf Sand gebaut wird, sind noch einige Veränderungen von Nöten. Zum Beispiel ein Wertewandel. Denn es drängen sich Fragen auf: Warum bekommen Tätigkeiten so wenig Wertschätzung, die klassisch von Frauen ausgeführt werden – auch finanzielle. Der Pflegenotstand zeigt deutlich, wohin uns das als Gemeinschaft führt.
So. Und jetzt fasse ich mich an meine eigene Nase. Ich grolle noch ein wenig über die Werbung, die den Videos vorgeschaltet waren, welche ich zur Recherche für diesen Artikel gesehen habe. Es ging um Babypuder…! (Hätte mein Freund diese auch zu sehen bekommen?) Ich kümmere mich nun um meine ganz persönlichen Pflastersteine auf dem Weg zum Erfolg und zu mehr Geschlechtergerechtigkeit. – Packen wir`s an!