Menschen mit Behinderung und chronischen Krankheiten können natürlich ein Studium aufnehmen. Viel entscheidender als für andere ist für sie jedoch eine gründliche Vorbereitung sowie die sorgfältige Wahl der Hochschule, da die Gegebenheiten vor Ort für sie besonders wichtig sind. Um euch eventuelle Zweifel und Ängste vor der Aufnahme eines Studiums zu nehmen, haben wir eine Reihe von Informationen zu diesem Thema gesammelt.
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Um Menschen mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten eine gleiche Teilhabe am Studium zu gewährleisten, gibt es einige Möglichkeiten der Unterstützung.
Immer mehr junge Leute entscheiden sich für ein Studium. Während viele sich „nur“ darüber den Kopf zerbrechen müssen, welches Studienfach sie interessiert, haben Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen oft noch mehrere Fragen zu klären:
Wie lässt sich meine Einschränkung mit dem Studium vereinbaren? Oder gibt es Hochschulen bzw. Studienformen, wo dies besser möglich ist?
Kann oder möchte ich für mein Studium umziehen – und komme ich ohne das vorhandene Unterstützungsnetzwerk klar?
Und was möchte ich nach dem Studium beruflich machen?
Um für manche offenen Fragen eine Antwort zu finden, kann ein Aufsuchen der Hochschule sinnvoll sein, um die Lage vor Ort zu begutachten. Dabei kann auch gleich die Studienberatung der Hochschule aufgesucht werden. An großen Hochschulen findest du auch Berater/innen speziell für deine Lage.
In der lesenswerten Studie „Beieinträchtigt studieren“ vom Deutschen Studentenwerk aus dem Jahr 2012 gab fast jede/r Dritte an, nicht das Wunschstudium gewählt zu haben, weil das Umfeld es ihnen ausgeredet habe. Lass dich nicht zu leicht entmutigen und hol deswegen auch Meinungen von außerhalb deines Umfelds ein. Versuche (zum Beispiel über soziale Netzwerke) Studierende oder AbsolventInnen in einer ähnlichen Lage kennenzulernen und dich mit ihnen auszutauschen.
Wenndu nicht für ein Studium umziehen kannst oder möchtest, hast du auch die Möglichkeit ein Fernstudium zu absolvieren. Hier ist zudem der Vorteil, dass du keine oder nur wenig Verpflichtung für Präsenztermine hast.
2. Studienplatzvergabe: Sonderanträge bei hochschulstart.de
In bundesweit zulassungsbeschränkten und einigen weiteren Studiengängen werden die Studienplätze über das Bewerbungsportal der Stiftung für Hochschulzulassung hochschulstart.de vergeben. Für 30% der Plätze ist dabei ausschließlich die Abi-Note entscheidend, bei den restlichen Plätzen kommen weitere Kriterien hinzu, 10% werden unabhängig von Schulnoten vergeben (2020+2021 spielt dort die Wartezeit noch eine gewisse Rolle). Behinderte BewerberInnen können in dem Bewerbungsverfahren folgende Sonderanträge stellen:
Antrag auf Nachteilsausgleich (Verbesserung der Durchschnittsnote)
Dieser Antrag kommt in Betracht, wenn die Abiturnote behinderungsbedingt schlechter ausgefallen ist als sie ohne Behinderung ausgefallen wäre. Dem Antrag sind beglaubigte Kopien der Schulzeugnisse und ein detailliertes Schulgutachten der Schule beifügen. Dieses muss deutlich machen, inwiefern sich die Behinderung auf die Verschlechterung der Abiturnote ausgewirkt hat.
Antrag auf Nachteilsausgleich (Verbesserung der Wartezeit)
Dieser Antrag kommt in Betracht, wenn du das Abitur behinderungsbedingt erst später gemacht hast als du es ohne Behinderung hättest machen können. Wer beispielsweise ein Schuljahr krankheits- oder behinderungsbedingt wiederholen musste, bekommt zwei Wartesemester zusätzlich „gutgeschrieben“. Nur noch 2021+22 relevant.
Härtefallantrag (sofortige Zulassung zum Studium)
Hochschulstart.de reserviert bis zu zwei Prozent der verwalteten Studienplätze für sog. Härtefälle, in denen eine sofortige Zulassung zum Studium erforderlich ist. Neben verschiedenen anderen Gründen kann ein Härtefall auch aufgrund einer Krankheit oder Behinderung vorliegen. Als Beleg ist ein fachärztliches Gutachten oder ggf. auch ein anderer Beleg einzureichen.
Alle Sonderanträge müssen mit dem Antrag auf Zuteilung eines Studienplatzes zusammen bis zum Ablauf der Bewerbungsfrist abgegeben werden. Dem Antrag sind stets Belege beizufügen. Kopien müssen beglaubigt sein. Bescheinigungen von Stellen, die zur Führung eines Dienstsiegels amtlich ermächtigt sind, müssen mit einem Dienstsiegelabdruck versehen sein.
Es lohnt auch ein Blick auf die Seite Studienfinanzierung. Hier gehen wir im Weiteren vor allem auf die Besonderheiten ein, die sich für behinderte Studierende beim BAföG geben und nennen noch einige Stiftungen, die vor allem behinderte Studierende mit Stipendien fördern.
Das BAföG
Das BAföG ist immer noch von zentraler Bedeutung für die Studienfinanzierung. Die Fördersummen sind jedoch nicht immer ausreichend, um mit ihnen ein Studium zu bestreiten. Für StudentInnen mit Behinderung oder chronischer Krankheit gilt dies noch in weitaus höherem Maße, da sie einen deutlich erhöhten Finanzierungs- und Organisationsaufwand haben. Trotzdem ist es immer zu empfehlen, BAföG zu beantragen, um zumindest einen Teil des Lebensbedarfs zu decken.
Der BAföG-Bedarf für chronisch kranke und behinderte Studierende ist der gleiche wie für andere Studierende auch. Nach § 25 Abs. 6 BAföG kann jedoch bei der Anrechnung des Einkommens der Eltern und/oder des/der EhepartnerIn bzw. des eingetragenen Lebenspartners oder der eingetragenen Lebenspartnerin ein Härtefreibetrag geltend gemacht werden. Ein entsprechender Antrag kann insbesondere dann gestellt werden, wenn außergewöhnliche Belastungen nach den §§ 33 bis 33c des Einkommensteuergesetzes (EStG) anfallen oder Aufwendungen für behinderte Personen, denen der Einkommensbezieher nach dem bürgerlichen Recht unterhaltspflichtig ist.
Alle angegebenen Aufwendungen müssen im Bewilligungszeitraum erfolgt sein. Sind im EStG pauschalisierte Freibeträge vorgesehen, so werden diese angewandt. Gegen Nachweis können u.U. auch höhere Beträge berücksichtigt werden.
Normalerweise wird BAföG nur für die Regelstudienzeit gewährt. Diese ist in der Studienordnung des jeweiligen Studienganges geregelt. Verzögert sich das Studium aufgrund einer Behinderung oder chronischen Krankheit, ist eine Förderung allerdings auch über die Förderungshöchstdauer hinaus möglich.
Ähnliche Regelungen wie für eine Behinderung (i.S.d. SGB IX) gelten für eine schwere Erkrankung. Diese stellt einen „schwerwiegenden Grund“ nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG dar. Die Verzögerungsgründe Krankheit und Behinderung sollten bei Vorliegen sowohl im Zusammenhang mit der Vorlage des Leistungsnachweises geltend gemacht werden, als auch am Ende des Studiums beim Überschreiten der Regelstudienzeit.
BAföG wird zur Hälfte als unverzinsliches Staatsdarlehen gewährt. Dieser Teil ist fünf Jahr nach Ablauf der Regelstudienzeit in Raten zurückzuzahlen. Reicht das Einkommen dazu nicht aus, kann man sich für jeweils ein Jahr von der BAföG-Rückzahlung zurückstellen lassen. Der Freibetrag liegt derzeit (Ende 2019) bei 1.225 € Euro pro Monat. Er erhöht sich für den Ehegatten bzw. den eingetragenen Lebenspartner um 610 Euro und für jedes Kind des (ehemals) Auszubildenden um 555 Euro. Bei Schwerbehinderten erhöht sich der Gesamtbetrag außerdem um die behinderungsbedingten Aufwendungen entsprechend § 33b EStG.
Im Allgemeinen sind Menschen, die nach ihrem 30. Geburtstag ein grundständiges Studium oder nach ihrem 35. Geburtstag ein Masterstudium beginnen, von der BAföG-Förderung ausgeschlossen. Haben allerdings persönliche Gründe, z. B. eine Krankheit oder Behinderung, die „rechtzeitige“ Studienaufnahme unmöglich gemacht, gibt es Ausnahmeregelungen. Dann ist der Bezug von BAföG möglich, sofern das Studium unverzüglich nach Wegfall des Hinderungsgrundes aufgenommen wurde. Details im Artikel BAföG-Anspruch bei Studienbeginn mit über 30
Rechne dir hier aus, mit wieviel BAföG du rechnen kannst:
Georg-Leffers-Stiftung
Zielgruppe: behinderte Studierende, von denen staatliche oder andere Zuwendungen nicht, nicht mehr oder nicht in ausreichender Höhe beansprucht werden können.
4. Besondere Unterstützungsleistungen während des Studiums
Michel Arriens | www.michelarriens.de
Neben einer persönlichen Assistenz gibt es immer mehr technische Geräte, welche im Studienalltag helfen können: wie zum Beispiel diese Braillezeile. Diese haben jedoch auch ihren Preis – deswegen sollte man versuchen, die Kosten beim Sozialhilfeträger einzureichen.
Die Hilfe zum Besuch einer Hochschule umfasst den Assistenzbedarf, der zum Besuch von Lehrveranstaltungen, zur Teilnahme an schriftlichen und mündlichen Prüfungen, zur Erstellung von Referaten und Hausarbeiten aller Art einschließlich Bibliotheks- und anderer Recherchen sowie zum Erreichen der Hochschule notwendig ist. Ebenfalls übernommen werden müssen Kosten der Assistenz, die für ein studiennotwendiges (Berufs-) Praktikum oder einen studiennotwendigen bzw. dem Studium sehr förderlichen Auslandsaufenthalt anfallen.
Für diese Hilfen gelten die Einkommens- und Vermögensgrenzen des SGB XII. Für Menschen, deren Einkommen sich im Rahmen des BAföG-Satzes oder eines studentischen Jobs bewegt oder auch um einige Hundert Euro darüber liegt, fällt kein Eigenanteil an. Eltern sind grundsätzlich unterhaltspflichtig, d.h. sie müssen sich an den Kosten der Assistenz beteiligen. Tun sie dies nicht und wird die Assistenz vollständig vom Sozialhilfeträger finanziert, so geht der Unterhaltsanspruch gegen die Eltern in Höhe von 26 Euro monatlich auf den Sozialhilfeträger über. Er holt sich das vorstreckte Geld also von den Eltern zurück.
Auch studiennotwendige Hilfsmittel wie speziell ausgestattete PCs oder auch Fahrtkosten können im Rahmen der Hilfe zum Besuch einer Hochschule finanziert werden.
Pflege
Pflegebedürftige Menschen haben Anspruch auf Leistungen nach [urlex=https://www.buzer.de/gesetz/4851/a67591.htm|§§ 36 ff. SGB XI[/urlex]. Je nachdem, wie die Pflege bzw. Assistenz organisiert wird, werden „Pflegesachleistungen“ nach § 36, Pflegegeld nach § 37 oder eine Kombination aus Sachleistungen und „Pflegegeld“ nach § 38 gewährt.
Nachteilsausgleiche müssen die folgenden Kriterien erfüllen: Es muss generell die Möglichkeit gewährleistet werden, dass eine Prüfungsleistung bedarfsgerecht in anderer Weise erbracht werden kann. Dazu gehört insbesondere ein Wandel von schriftlicher zu mündlicher Prüfung – oder umgekehrt. Darüber hinaus sehen die meisten Prüfungsordnungen die Möglichkeiten einer Assistenz, also Schreibhilfen oder GebärdendolmetscherInnen vor. Auch kann die Prüfungszeit verlängert werden. Ein Nachteilsausgleich muss unter Vorlage eines ärztlichen Attests beim Prüfungsamt bzw. Prüfungsausschuss beantragt werden. Da ggf. zusätzlich Organisationsaufwand erforderlich ist (z. B. Buchung von gesonderten Räumen und zusätzlichen Aufsichtskräften), sollte der Antrag frühzeitig erfolgen. Wer den gewährten Nachteilsausgleich für nicht ausreichend hält und das Problem nicht mit dem Prüfungsamt direkt klären kann, sollte sich an den Behindertenbeauftragten der Hochschule wenden.
Zu den Problemen, die es im Zusammenhang mit dem Antrag auf Nachteilsausgleich kommen kann, berichteten wir in unserem Artikel Wo bleibt die Inklusive Hochschule? im November 2019.
Klar ist, dass allgemeine Studiengebühren, aber auch Langzeitgebühren die soziale Selektion entschieden vorantreiben – eben dadurch, dass sie für diejenigen, die im Studium generell stärker benachteiligt sind, eine zusätzliche Hürde darstellen. Besonders problematisch zeigt sich dies bei behinderten oder chronisch kranken StudentInnen. Immerhin: Allgemeine Studiengebühren gibt es an staatlichen Hochschulen nicht mehr, Langzeitstudiengebühren allerdings immer noch in sechs Bundesländern (Stand zum WiSe 2019/20). Siehe aktuell unsere Übersichtsseite zum Thema Studiengebühren.
Zwar existieren überall Härtefallregelungen, sie sind jedoch alles andere als durchdacht und von sozial gerechten Kompensationsinstrumenten weit entfernt. In allen Gesetzen sind für die Benachteiligten nur Einzelfallentscheidungen vorgesehen. Dadurch wird es mitunter schwierig, solche Sonderregelungen politisch geltend zu machen und in Anspruch nehmen zu können. Zumal die Strafgebühren zur Füllung der chronisch leeren Kassen herangezogen werden sollen.
Die Gewährung weiterer, gebührenfreier Semester ist immer ein Kraftakt. Es müssen ärztliche Atteste zum Beleg der verminderten Studierfähigkeit erbracht werden. Mitunter werden auch amtsärztliche Bescheinigungen oder eidesstattliche Versicherungen verlangt. Schwerbehindertenausweise oder Bescheide der SozialhilfeträgerInnen reichen meist nicht aus. Wichtig ist, dass die zuständigen Stellen an der Hochschule kein Recht haben zu erfahren, wie das Krankheitsbild aussieht. Die gesetzliche ärztliche Schweigepflicht gilt natürlich weiterhin. Stattdessen sollte möglichst detailliert eine chronologische Aufstellung der anteiligen Studierfähigkeit von der Ärztin oder dem Arzt aufgestellt werden. Das ist im Grunde die einzige Information, die in der Bürokratie benötigt wird.
Betroffenen StudentInnen sind vor allem zwei Dinge zu raten. Erstens sollten sie dringend Atteste und ähnliche Belege regelmäßig besorgen und auch verwahren. Zweitens sollten sie über die Vorteile einer (zweitweisen) Beurlaubung nachdenken.
6. Institutionelle Hilfe
Bei weiteren Fragen wende dich bitte beispielsweise an folgende Institutionen:
den Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) deiner Hochschule bzw. direkt an das Sozialreferat oder ein thematisch passendes Referat.
An einigen Hochschulorten gibt es darüber hinaus Interessengemeinschaften behinderter und nichtbehinderter Studierender. Auch an diese kannst du dich wenden, um Informationen zu erhalten. In diesen Gruppen haben sich behinderte und nichtbehinderte Studierende zusammengeschlossen, um gemeinsam die Interessen von Studierenden mit Behinderungen zu vertreten. Darüber hinaus bieten sie Beratung, Erfahrungsaustausch und partnerschaftliche Hilfe an. Weiter unten haben wir unter „Webseiten für Studierende mit bestimmten Beeinträchtigungen“ einige bundesweite Initiativen aufgeführt.
7. Nach dem Studium: Der Berufseinstieg
Wer nach dem erfolgreich absolviertem Studium ins Berufsleben einsteigen möchte, kann sich von folgender Stelle der Bundesagentur für Arbeit beraten lassen – auch wenn da Arbeitgeberservice steht, ist er genau so für dich als potentielleR ArbeitnehmerIn da:
Anmerkung der Redaktion:
Die Ursprungsfassung des Artikels wurde von Jens Wernicke zusammengestellt. Sie wurde immer wieder durch die Studis Online-Redaktion ergänzt und überarbeitet, die letzten Aktualisierungen wurden am oberhalb des Artikels angegebenen Datum vorgenommen.
Kommentare zu diesem Artikel
1. STEFFEN. kommentierte am 19.02.2013 um 09:00:49 Uhr
Studium mit Behinderung
Auf dem Internetportal für Menschen mit Behinderung gibt es auch viele weitere Informationen für Studierende mit Handicap:
http://www.myhandicap.de/studium-mit-behinderung.html
Hinweis zu den hier beworbenen Studienangeboten Studis Online bietet den Hochschulen die Möglichkeit, ihre Studienfächer gegen ein Entgelt mit ausführlicheren Informationen als den von uns recherchierten Basisinformationen vorzustellen.