Gebührenbefürworter interpretieren alles anders
Auswirkungen von Studiengebühren

Inzwischen hat das Bundesbildungsministerium zwei Studien, die u.a. die Auswirkung von Studiengebühren untersuchten, veröffentlicht. Da Bundesbildungsministerin Schavan Studiengebühren befürwortet, hat das Ministerium in der Zwischenzeit Formulierungen gefunden, die vom Problem der Studiengebühren ablenken sollen. "Studiengebühren spielen [als Grund gegen das Studium] eine untergeordnete Rolle", wird behauptet. Was steht wirklich in den Studien? Oliver Iost berichtet und kommentiert.
Beim Thema Studiengebühren werden Debatten immer besonders emotional. Sowohl Befürworter wie Gegner versuchen fast jede Studie dazu zu ihren Gunsten zu nutzen. Aktuell geht es um zwei Studien, die das Hochschul Informations System (HIS) im Auftrag des Bundesbilungsministeriums (BMBF) erstellt hatte und in denen es ausschließlich oder zu einem Teil um eben das Thema Studiengebühren ging.
Die erste Studie mit dem Titel "Studiengebühren aus der Sicht von Studienberechtigten" (Download beim HIS möglich) lag offenbar schon länger vor (Untersuchungszeitraum war im wesentlichen das Wintersemester 2006/2007), die zweite "Studienanfänger im Wintersemester 2007/08" mit einem Kapitel zu Studiengebühren (Download ebenfalls beim HIS möglich) erst seit kurzem. Obwohl also zumindest die erste Studie fertig war, hatte das BMBF die Veröffentlichung zurückgehalten. Argumentiert wurde damit, dass nur die "Gesamtschau" sinnvolle Interpretationen zuließe (wir berichteten).
Das kann man durchaus bezweifeln, denn letztlich geht es zwar bei beiden Studien (auch) um Studiengebühren, es werden aber unterschiedliche Gruppen befragt (in der ersten Studie Studienberechtigte, in der zweiten StudienanfängerInnen). Da die Befragungen unabhängig voneinander durchgeführt wurden, kann auch nicht nachvollzogen werden, was aus den in der ersten Studie Befragten geworden ist, ob sie also bspw. tatsächlich ihr Vorhaben, zu studieren (oder eben nicht) verwirklicht haben. Bei der zweiten Studie können prinzipbedingt diejenigen, die – warum auch immer – kein Studium begonnen haben, nicht mehr erreicht werden. Kurz: Die Studien haben zwar Überschneidungen, aber lassen so oder so blinde Flecken übrig.
Sprachregelungen – 18.000 vs. 3,6%
Das Zurückhalten der Studien hatte das BMBF jedenfalls in die Defensive gedrängt, denn es drangen doch einige Zahlen in die Öffentlichkeit und diese waren für Studiengebührenbefürworter unangenehm. Demnach (und das lässt sich auch in der nun veröffentlichten Studie nachlesen) sind Studiengebühren für ca. 18.000 Studienberechtigte ein Hinderungsgrund, ein Studium aufzunehmen. Wobei ein Drittel davon (6.000) wegen der Studiengebühren ganz auf ein Studium verzichten will, der größere Teil (9.000) will zunächst nicht studieren, schließt es für die Zukunft aber nicht aus. 3.000 schließlich waren noch unsicher, ob sie das Studium wegen der Studiengebühren sein lassen oder es doch wagen. Da Bundesbildungsministerin Schavan Studiengebühren befürwortet, wundert es nicht, dass in der Pressemitteilung zur Veröffentlichung der Studie versucht wird, das insgesamt als vernachlässigenswert darzustellen.
Statt die Zahl 18.000 überhaupt zu nennen, wird lieber von 3,6% der Studienberechtigten gesprochen. Das hört sich tatsächlich harmloser an. Zusätzlich wären Studiengebühren erst auf Platz fünf der Gründe, die Studienberechtigte als Gründe für einen Studienverzicht angeben. Immerhin wird noch zugegeben, "Frauen und Studienberechtigte aus hochschulfernen Elternhäusern reagieren sensibler auf Studiengebühren als andere Gruppen".
Der studentische Dachverband fzs merkt dazu mit Recht an, dass diejenigen, die Studiengebühren als Verzichtsgrund angeben, wohl eher überhaupt als Studierende gewonnen werden könnten (und dass mehr Menschen studieren sollen, darüber sind sich angeblich alle einig), als diejenigen, die ein Studium schon grundsätzlich für sich ausschließen, weil sie z.B. eher "etwas praktisches" machen wollen.
"Aus sozialen Gründen darf niemand vom Studium abgehalten werden"
Schavan wiederholt in der aktuellen Pressemitteilung das Mantra (was an sich richtig ist), dass niemand aus sozialen Gründen vom Studium abgehalten werden darf. Genau das scheint aber durch Studiengebühren zumindest teilweise zu passieren, denn beide Studien zeigen ja, dass gerade Menschen aus hochschulfernen (was meist auch eher finanzschwache Haushalte sind) Elternhäusern von Studiengebühren stärker negativ beeinflusst werden.
Darauf geht Schavan aber gar nicht mehr ein, sondern spricht lieber davon, dass die Studierenden für Studiengebühren auch mehr Qualität an ihren Hochschul erwarten und dass das ihr gutes Recht sei. Nur hat gerade das Bundesbildungsministerium darauf keinerlei Einfluss, da alles rund um Studiengebühren Ländersache ist. Sie kann leicht schön klingende Forderungen aufstellen, um ihre Erfüllung muss sie sich nicht kümmern.
Über 10% der StudienanfängerInnen werden durch Studiengebühren beeinträchtigt
Die zweite Studie, die die Lage der Studienanfänger im Wintersemester 2007/2008 untersuchte, zeigt übrigens auch, dass die Auswirkung von Studiengebühren gar nicht so klein ist. Denn hier sind ja diejenigen, die erst gar nicht ein Studium begonnen haben, nicht mehr dabei. Trotzdem sind (in Bundesländern mit Studiengebühren) nach der realen Erfahrung mit Studiengebühren offenbar 2% geneigt, ihr Studium abzubrechen, 3% wollen in ein gebührenfreies Land wechseln und weitere 8% hoffen, ihre durch die Studiengebühren erschwerte finanzielle Lage noch in den Griff zu bekommen.
Insgesamt sind diese Zahlen ebenfalls nicht positiv für Studiengebührenbefürworter. Denn nimmt man die oben genannte Aussage "Aus sozialen Gründen darf niemand vom Studium abgehalten werden" (Hervorhebung durch den Verfasser) wirklich ernst, so ist jedes Prozent ein Prozent zu viel.
Mehr Stipendien keine Lösung
Diejenigen, die mit guten Schulnoten und positiven Einschätzungen der Berufsaussichten ins Studium starten, lassen sich von Studiengebühren wenig beeinflussen, ist ein weiteres Ergebnis der Studien. Die gern wiederholte Forderung nach mehr Stipendien (aktuell wieder vor allem durch den Wissenschaftsminister aus Nordrhein-Westfalen) ist somit wahrscheinlich keine Lösung, um mehr Menschen zum Studium zu bewegen. Denn zu einem Großteil würde man damit Menschen fördern, die sowieso studieren würden. Diejenigen, die aber eben nicht ganz so gute Noten in der Schule hatten (aber nichts desto trotz studierfähig wären), erreicht man damit in der Regel nicht.
Statt also wie so oft Subventionen auszuschütten für diejenigen, die sie gar nicht unbedingt brauchen, sollte zusätzliches Geld lieber für ein Ausbau des BAföGs genutzt werden. Wollte man einen wirklich großen Wurf machen, wäre eher zu überlegen, wie man die teilweise unbewusst versickernden Transfers in die Familien (Steuerfreibeträge, Kindergeld) von Studierenden dazu nutzt, wie in den Ländern Skandinaviens in einer elternunabhängigen Studienförderung (Leitbild: Studierende sind eigenverantwortliche BürgerInnen und nicht mehr von ihrer Familie "abhängig") zu verwenden.
Quellen und weitere Stimmen zum Thema
Kommentare zu diesem Artikel
1. Gastkommentar kommentierte am 03.11.2008 um 14:16:56 Uhr
Vorbild NRW
Hallo,
warum nicht wie in NRW das Studiengebuehrenmodell nutzen. Wer Bafoeg empfaengt kann einen Kredit beantragen, der je 1000 Euro Bafoegschuld 500 Euro erlaesst, sprich wer die 10000 Euro Maximalfoerderung bekommt, bezahlt keine Gebuehren innerhalb der ersten 10 Semester, was ja reichen sollte, wenn man sich ein wenig Muehe gibt.
Meiner Meinung nach ist das im Moment die fairste Regelung, da z.B. an der RWTH tatsaechlich was mit den Studiengebuehren gemacht wird.
2. babyblue kommentierte am 03.11.2008 um 21:26:46 Uhr
reaktionäre Bildungspolitik
Frau Schawan steht für reaktionäre Bildungspolitik in diesem Lande. Das hat selbst in Baden-Württemberg nicht mehr gerreicht. Lediglich die Seilschaft zu Angie hat zu einem Bundesministerposten verholfen. Schwarze Politik stand noch nie für den Blick in die Zukunft geschweige denn für umwälzende Entwicklungen (igitt). Und nun ernsthaft : Wenn die Politiker der BRD nicht wirklich das Ziel haben, wegen der Konkurrenz zwischen den gesellschaftlichen Underdogs und der etablierten Bildungsgesellschaft den Supergau des Niedergangs von Bildung und Forschung zuzulassen, ist es nach endlosen Jahren der hochnotpeinlichen Pisa-Studien an der Zeit völlig umzudenken.
Seien wir doch mal ehrlich: nur die geschickte Neiddebatte verhindert bis heute eine allgemeine Studienfinanzierung für Alle: Also vom Asylantenkind über das Kind chronischer Sozialleistungsbezieher bis hin zum Söhnchen oder Töchterchen der Oligarchie. Warum sollen volljährige Menschen, und das sind i.d.R. solche, die das Abi in der Tasche haben, sich von Ministerialbeamten zu abhängigen Almosenempfängern von Eltern und mehr oder minder wohlmeinenden
Sachbearbeitern der BAföG-Behörden degradieren lassen?
Wenn man dieser Generation nicht zutraut eigenverantwortlich zu handeln, kann man diese Eigenverantwortung sehr wohl befördern, indem man allen, also wirklich allen Studienwilligen das komplette Studium als Darlehen vorfinanziert Um die Eigenverantwortung zu motivieren, gibt es die Möglichkeit über eine Abstufung der erreichten Leistungen im Hinblick auf Qualität des Abschlusses und Studienzeit in einem Punktesystem Abschläge von der Finanzierungssumme zu erreichen. Das sollte bei sehr guten Abschlüssen in der Regelstudienzeit bei 100 % Abschlag beginnen, bei unumgänglichem Neidhammelfaktor könnte man noch sagen: 10 % Eigenbeteiligung muss jeder tragen!
Diese Diskussion wurde vor ein paar Jahren schon einMal abgewürgt, weil Frau Schawan und ihr bürokratischer Kometenschweif um ihre Daseinsberechtigung fürchten. Man stelle sich vor: Die BRD ohne
Bundesministerin in Person von Frau Schawan, das wäre der Niedergang abendländicher Bildungspolitik. Und die Beamten, die man bei voller Bezahlung in den Bürotiefschlaf schicken müsste. Nicht auszudenken. Dann zahlen wir doch lieber für das Bankendesaster 3oo Milliarden Euro mehr oder weniger, und es bleibt alles beim Alten. Gute Nacht Bundesrepubik Deutschland, die Reaktionäre haben es geschafft: Unsere Söhne und Töchter machen von nun an das Licht wieder mit dem Hammer aus.
3. Christian, Student kommentierte am 04.11.2008 um 00:45:02 Uhr
an Nutzer 1
Ach so, sorry, ich gestehe, dieser Vorteil des NRW-Studiums war mir gar nicht bewusst!
Ist denn NRW das einzige Land mit so einem Modell?
Und in den anderen Ländern (welchen? allen anderen?) mit Studiengebühren gibt es dann keinerlei 10000 €-Deckelung der Gesamtschuld?
Ich wäre über eine kurze "Einweihung" sehr dankbar, drum Danke schomma!
Solidarische Grüße,
Christian
4. Oli (Studis Online) kommentierte am 04.11.2008 um 11:00:42 Uhr
@Christian (NRW-Studienbeitragsdarlehen)
Nordrhein-Westfalen ist tatsächlich das einzige Bundesland, bei dem die Schulden aus BAföG-Staatsdarlehen und Studiengebühren bei 10.000 Euro gedeckelt werden. Um in den Genuss dieser Regelung zu kommen, muss man das Studienbeitragsdarlehen aufnehmen, man kann das nicht etwa nachträglich beantragen.
Genauere Informationen zu den Regelungen in den einzelnen Bundesländern mit Studiengebühren kannst Du dem Artikel Studienbeitragsdarlehen entnehmen.
Sicherlich ist die NRW-Regelung noch am "freundlichsten". Allerdings sollte man nicht vergessen, dass sie das "Mittelstandsloch" des BAföGs (diejenigen, die gerade kein oder nur sehr wenig BAföG bekommen und deren Eltern "gefühlt" nicht genug Geld haben, um ihre Kinder zu unterstützen) weiter aushöhlt. Denn diejenigen, die unter 10.000 Euro BAföG bekommen, müssen eben bis zu dieser Grenze Gebühren drauflegen.
5. Unbekannt kommentierte am 04.11.2008 um 11:30:37 Uhr
Oli, ich geb Dir Recht
...Ich hätte echt nix mehr zu lachen, wenn ich in NRW wohnen würde - denn dann würde der von Oli geschilderte Fall tatsächlich auf mich zutreffen!
Ich komme aus einem armen Elternhaus, habe damals leider das Gymmi abgebrochen, weil mein Vater sich das Leben nahm, machte den Quali und wollte arbeiten, damit es meiner Familie besser geht...
Hat natürlich alles net so ganz geklappt...
Also machte ich nach meinem Zivi an ner Abendrealschule meinen mittleren Bildungsabschluss nach, während ich tagsüber arbeiten gehen musste, dann hinterher mein Fachabi, und jetzt, wo ich das Studieren angefangen habe, bin ich genau um ein Jahr zu alt, als dass ich irgendeine Förderung bekäme (weder Bafög noch einen KFW-Kredit, halt nüscht dergleichen) !!
Ich bin ja soo froh, dass es an meiner FH ne Regelung gibt, die mich von den Studiengebühren befreit - weil ich ansonsten net studieren könnte!
Es ist ja so schon hart genug, neben dem Studium für meine Existenz arbeiten gehen zu müssen (also Miete, Strom, Lebensunterhalt, etc) - wenn jetzt auch noch die Sudiengebührenbefreiung genau wie die GEZ-Befreiung ans Bafög gekoppelt werden würde, könnt ich mir ein Studium tatsächlich an den Hut schmieren...
6. gast12345 kommentierte am 04.11.2008 um 21:15:30 Uhr
kommentar
auch werden vermutlich die studiengebühren tatsächlich nicht zum ausbau der qualität der lehre bzw. der universität an sich vollständig genutzt, sondern das geld wird noch zu einem nicht geringen betrag auf einem konto liegen und man will an den zinsen verdienen, vlt. auch spekulieren...vlt. aber werden diese gelder auch nicht zweckentfremdet ?
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ohne studiengebührenkredit und/ oder bafög als nicht wohlhabender macht das studieren tatsächlich erheblich schwierig...
7. EinGast kommentierte am 04.11.2008 um 22:32:48 Uhr
Meine Meinung
Meiner Meinung nach sind Studiengebühren schon okay.
Nur muss man sich Gedanken darum machen, wie hoch so ein Beitrag sein darf/muss.
Dass das Geld nicht dort ankommt, wo es soll, ist das wahre Problem, an dem gearbeitet werden muss.
Das ändert aber nichts an der Sinnhaftigkeit der Studiengebühren an sich.
8. Masse erzeugt Klasse kommentierte am 06.11.2008 um 22:14:11 Uhr
Wieso eigentlich ...
... finden die augenscheinlichen Befürworter von Studiengebühren immer wieder und wieder Euphemismen wie "schon okay" für ein Modell sozialer Selektion, dass unterm Strich nur eine Verschärfung der Gegensätze zwischen Arm und Reich erzeugt - Emanzipation durch Bildung wird denen, denen es am meisten bringen würde, mehr und mehr verbaut durch diese Filtersysteme.
Im Sinne von Foucaults Begriff der Biomacht ist auch verständlich warum - Bildung ist auch ein Filter für Partnerwahl; mit "denen von da unten" lässt "man" (bezogen auf die Shcicht, die zu keiner Zeit der Förderung bedarf) sich eben nicht so gerne ein...
Meiner Meinung nach ist es nicht weit von Studiengebühren hin zu offensichtlicheren Segregationsmechanismen (wie es in den USA z. Bsp. als Rassentrennung an Unis bis Mitte 20. Jahrhundert noch Gang und Gäbe war).
Studiengebühren sind reaktionär, eine Ausnahme ist mir unvorstellbar.
Studiengebühren verschlechtern die Qualität von Lehre und Forschung, da (insbesondere) die Lehrenden es ohnehin mit Leuten zu tun haben, die an gehobenen (dem Akademischen formal nahen) Diskurs gewöhnt sind - Leistung ist dadurch weniger ein Kriterium als Geld, Gebühren wirken anti-meritokratisch (als Beispiele seien Oxford oder Cambridge zu nennen).
Befürworter von Studiengebühren sind möglicherweise, was neue Erkenntnisse über die Auswirkungen von Studiengebühren auf die Qualität der Lehre angeht, womöglich bildungsresistent - traurig, falls sich das als wahr erweist, zu bedauern jeder, der zu diesem Gesamtbild beiträgt...
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