FöderalismusreformFolgen auch für die Hochschulen
Von Jens Wernicke und Wolfgang Lieb
Der bundesrepublikanische Föderalismus war einsmals ein "Geschenk" der Alliierten. Niemals wieder sollte Deutschland Gefahr laufen, durch eine übermächtige Zentralregierung in eine Diktatur geführt zu werden. Nicht zuletzt deshalb räumt das Grundgesetz den Ländern ein starkes Gewicht sowie umfassende Kontrollrechte gegen den Bund ein.
Statt jedoch die horizontale Gewaltenteilung zu achten, statt den Subsidiaritätsgedanken zu stärken, statt den Bundesrat als integratives Instrument der Konfliktbewältigung zu nutzen, wurden die konstruktiven Funktionen des Föderalismus mit Fortschreiten der deutschen Geschichte mehr und mehr durch parteipolitische Machtspiele im Bundesrat desavoiert: "Über den Stillstand aller Reformgesetzgebung sollte der Weg der Opposition ins Kanzleramt geebnet werden. Und es funktionierte jedes Mal. Mit dem Verlust der Mehrheit im Vermittlungsausschuss nach der SPD-Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen im Mai 2005 musste auch Gerhard Schröder das Handtuch werfen" (Die ZEIT).
Nicht eine Reform des Föderalismus hätte daher zwingend auf die Tagesordnung gehört; vielmehr hätte der machtpolitische Missbrauch des Bundesrates durch die jeweilige Opposition mit Nachdruck bekämpft werden müssen. Nun steht die Reform jedoch bereits in Haus.
Die geplante Reform: Zurück in die Vergangenheit
Ihr Ziel ist es, der jeweiligen Bundesregierung ein "Durchregieren" besonders in der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu erleichtern, was meint: Die Einflussmöglichkeiten der Länder in diesen Bereich auf Null herunterzufahren. Im Gegenzug hierzu erhalten die diese - im Rahmen einer "Entflechtung der Kompetenzen" - das verfassungsmässig verbriefte Recht, fortan die Verantwortung für bspw. Bildungspolitik, Umweltpolitik, Strafvollzug sowie Beamtenbesoldung allein zu tragen.
Als Begründung für ein solches "Mehr" an Länderkompetenzen gerade in diesen Bereichen spricht man landauf, landab von mehr Autonomie, mehr Deregulierung und besonders mehr Wettbewerb. Was jedoch bedeutet dies? Wie die ZEIT meint: Schlussendlich "eine Föderation armer und reicher Kleinstaaten mit höchst unterschiedlichen Universitäten, Umweltrechten und ganz verschiedenen Strafvollzugsregelungen. Willkommen auf dem Flickenteppich der deutschen Reichsvergangenheit? Keineswegs. Das ist die Zukunft der Republik."
Konsequenzen: Deregulierung, steigende Ungleichheit, Wettbewerb
Und tatsächlich ist davon auszugehen, dass mehr Deregulierung und vor allem Wettbewerb zu aller erst einen Wettberwerb um die Senkung von Steuern sowie politisch erkämpfter Umwelt- und Sozialstandards in Gang setzen wird. Denn: Mehr Wettbewerb bedeutet eben auch, dass die Stärkeren sich gegen die Schwächeren durchsetzen - und die gegen Sozialstandards skrupellosesten AkteurInnen jene unter Druck setzen, die diese Normen als soziale Errungenschaften und erhaltenswert ansehen.
So soll zukünftig bspw. die "Abwerbung von Spitzenkräften" durch die finanzkräftigsten Bundesländer - ermöglicht durch eine fortan unterschiedliche Besoldung von ProfessorInnen, Beamten etc. - zum erwünschten Wettbewerb gehören. "Wir bekommen sozusagen auf Länderebene einen 'Bayern-München-Effekt': Die 'Bayern' kaufen bekanntlich nicht so finanzkräftigen Klubs die hoffnungsvollen Spieler ab und bauen damit ihre Spitzenposition in der Bundesliga aus; die ärmeren Vereine tummeln sich dann am Tabellenende oder steigen sogar ab. Was man beim Fussbal noch hinnehmen kann, wird auf staatlicher Ebene weiter zu Lasten einheitlicher Lebensverhältnisse in Deutschland gehen - und das auf Kosten von Millionen Menschen, die eben nicht in den finanzstärkeren Ländern leben" (FREITAG).
Hochschulpolitik mal sechzehn
Und auch in Bezug auf den laufenden "Bologna-Prozess", welcher auf einen einheitlichen europäischen Hochschulraum mit einheitlichen Abschlüssen und harmonisierten Studieninhalten zielt, ist die Etablierung eines innerstaatlichen (freien) Wettbewerbs geradezu absurd: Wird nämlich bspw. die gemeinsame Finanzierung des Baus von Hochschulen und Forschungsgrossgeräten durch Bund und Länder wie geplant abgeschafft, kann dies nur zu sinnlosen und teuren Mehrfachinvestitionen zwischen den "starken" Wettbewerbern führen, während die ärmeren Länder abgehängt werden, weil sie die "guten" Wissenschaftler und und Geräte nicht zu bezahlen vermögen. Was das für die ärmeren Hochschulen gerade in Ostdeutschland bedeutet, liegt auf der Hand. Ebenso wie die Konsequenz hieraus: Der Abschied von einem international anerkannten Vorteil gerade des deutschen Hochschulsystems - von qualitativ einigermassen gleichwertigen Leistungsstandards aller Bildungsstätten im Land.
Auch sollen die Länder fortan selbst von den Minimalvoraussetzungen eines einheitlichen Hochschulwesens, nämlich von bundeseinheitlichen Regelungen für Hochschulzugang sowie Hochschulabschlüsse, abweichen dürfen. Das heisst: Der Bund wird fortan in diesen Bereichen zwar noch regeln dürfen, die Länder brauchen sich an diese Regeln jedoch nicht mehr zu halten.
Aber auch in der Umweltpolitik wird ein verschärfter Standortwettbewerb zwischen den Ländern zu einem Verfall ökologischer Standards führen: Selbstverständlich wird fortan seitens der Wirtschaft eben zuallererst dort investiert, wo die vergleichsweise geringsten Standortanforderungen geringere Investitions- und Produktionskosten zur Folge haben.
Resümee
Setzt sich in den nun ins Haus stehenden Verhandlungen in Bundestag wie Bundesrat also das bisherige "Reformkonzept" der föderalen Ordnung durch, verabschiedete sich Deutschland, hier gehen alle kritischen Kommentare d'accord, vom "Kronjuwel", das seine Verfassung bisher krönt: Dem Auftrag an den Bund, "gleichwertige Lebensverhältnisse" im Lande "herzustellen".
Das Motto dieser Reform scheint zu lauten: Statt Wohlstand und gleichwertigen Lebensverhältnissen für alle, voran mit noch mehr Differenz, mehr Unterschied, mehr Ungleichheit!
Und, by the way: So mancheiner behauptet, hinter all dem "wir brauchen Reformen, nur schnell, schnell, schnell" und "es muss ein Ruck durch Deutschland gehen" stecke vor allem eines: Etwas, das sich "Reformlüge" nennt.
Literatur- und Quellenverzeichnis
- Das Grundgesetz
- Artikel "Der Wettbewerbs-Republik entgegen" (FREITAG)
- Artikel "Der arme Nordosten bittet um Gnade" (taz)
- Artikel: "Die kalte Revolution" (Die ZEIT)
- Artikel: "Föderalismusreform: Vom kooperativen Föderalismus zum Wettbewerbsföderalismus – künftig herrscht zwischen den Ländern das Recht des Stärkeren" (nachdenkseiten.de)
- Thema der Woche im Bundestag: "Föderalismusreform - Meilenstein oder Rückfall in Kleinstaaterei?" (Bundestag)
- Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD
- Erläuterung "Zustimmungsgesetze"
- Papier Linkspartei.PDS: "Sachstand Föderalismusreform"
- Position des freien zusammenschlusses von studentInnenschaften (fsz) vom 10.03.2006: Bildung braucht starke Bundeskompetenz
- Position des freien zusammenschlusses von studentInnenschaften (fsz) vom 06.03.2006: fzs kritisiert Föderalismusreform
- Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 13-14/2005): Föderalismus
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