Ein Kommentar zum Weltstudententag 2016
Wer bei Twitter etwas zum Weltstudent*innen-Tag erfahren möchte, bekommt schnell viele Schnäppchen-Tipps zum Shoppen oder wird mit Gewinnspielen gelockt:
★★★ Happy Weltstudententag GEWINNSPIEL★★★
— iamstudent.at (@iamstudent_at) 17. November 2016
Damit ihr auch am Weltstudententag topmotiviert durch euer Studium... https://t.co/DV0wYReDKl
International Students' Day – Ein Tag mit Geschichte
Das insbesondere Studierende in Deutschland diesen Tag kaum mehr kennen, ist aufgrund seines geschichtlichen Hintergrundes ein trauriger Zustand. Der Weltstudententag erinnert an den studentischen Widerstand gegen den Nazi-Einmarsch in der Tschechoslowakei 1939. Bei einer Demonstration Ende 1939 starb der Student Jan Opeltal. Die Prozession aus Anlass seiner Beerdigung wurde von tausenden Studierenden zu einer Anti-Nazi-Demonstration gemacht – was harte Strafen der Nazis zur Folge hatte: Über 1.200 Studierende wurden verhaftet, neun Studenten am 17. November 1939 hingerichtet.
Das damalige „International Students Council“ rief erstmals 1941 zu einem International Students' Day auf, diese Tradition haben seine Nachfolgeorganisationen bis heute fortgeführt und erinnern so auch an die gesellschaftlichen Verantwortung, die Studierende haben.
In diesem Jahr soll insbesondere die wirtschaftliche, soziale und gesundheitliche Situation von Studierenden und Schüler*innen im Fokus des International Students' Day 2016 stehen.
2016 – #access4all, #StudentWelfare, #17now
Wie sieht heute die wirtschaftliche, soziale und gesundheitliche Situation von Schüler*innen und Studierenden auf der Welt aus? Wie offen ist also der Zugang zu Bildung? Diese Fragen stehen im Zentrum des diesjährigen internationalen Weltstudententages. Aktionen zum heutigen Tag werden unter den Hash-Tags #access4all, #StudentWelfare und #17now in sozialen Netzwerken geteilt.
Im globalen Aufruf vom Organising Bureau of European School Student Unions (OBESSU) wird darauf aufmerksam gemacht, dass ein Ausschluss von Bildung viele Gesichter haben kann. So bilden Armut und Diskriminierung immer noch eine Barriere für viele junge Menschen. Zwar gibt es in Deutschland keine allgemeinen Studiengebühren, jedoch schrecken die immer steigenden Lebenshaltungskosten junge Leute vom Studium ab – insbesondere die stark gestiegenen Mietkosten in vielen Städten. Somit bleibt Bildung immer noch eine Frage der sozialen Herkunft. Auf der anderen Seite stehen immer mehr Studierende durch die hohe Arbeitsbelastung unter Stress. Nach einer Studie von 2015 greifen sechs Prozent der Studierenden zu Tabletten, um Stress abzubauen und ihre Leistungen zu steigern – Tendenz steigend.
Nachtrag
Anscheinend gibt es dieses Jahr zwei Aufrufe. Einen vom europäischen OBESSU (siehe oben) – und ein internationaler Aufruf mit dem Titel #FundOurFuture. Der Aufruf beruht auf einer erst kürzlich gegründeten studentischen Initiative, welche sich im Mai 2016 im norwegischen Bergen zusammengefunden hat. Mehr Infos: www.globalstudentvoice.org
Engagement ist gerade heute gefragt
Dass diese Missstände so wenig von den Betroffenen kritisiert werden, hat vermutlich verschiedene Gründe. Ein Hauptgrund liegt in Deutschland sicherlich daran, dass es anscheinend keinen einheitlichen Adressaten einer politischen Forderung gibt. Vereinfachend ausgedrückt: Es fehlt der politische Gegner. Während zum Beispiel viele Bundesländer in den 2000ern Studiengebühren für alle eingeführt haben, hat dies viele Studierende und SchülerInnen (gemeinsam) auf die Straße gebracht.
Gerade aktuell ist gesellschaftliche Verantwortung gefragt – sei es bei der Unterstützung von Geflüchteten, sei es bei der Aufklärung von post-faktischen und populistischen Sprüchen – oder überall, wo gerade Krieg oder andere Formen von Gewalt herrschen.
Dieses Jahr konnte man dabei zusehen, wie in den USA die jungen Anhänger*innen von Bernie Sanders sich politisch organisiert haben – ihre Forderungen, wie eine Abschaffung von Studiengebühren, hatten schlussendlich keine Strahlkraft auf andere Gruppen, da sie am urbanen Milieu festklebten. Wir werden abwarten müssen, wie Studierende in Deutschland nächstes Jahr ihre Belange und Forderungen artikulieren werden mit Hinblick auf die Bundestagswahl – und dem drohenden Einzug der rechtspopulistischen AfD. Die andere Frage wird sein, wie solidarisch und grenzüberschreitend sie dies mit anderen Gruppen machen werden.
Studierende haben oft gesellschaftliche Missstände früh angesprochen und sich für Veränderungen eingesetzt. Oder sich wie 1939 in der Tschechoslowakei offensichtlich unmenschlichen Regimes entgegengestellt. Dass sie dabei oft nicht direkten Erfolg hatten, spielt gar keine Rolle: Manchmal geht es erst einmal darum, überhaupt zu sagen, dass es anders werden muss. Gesellschaftliche Veränderungen dauern, aber sie können nur kommen, wenn überhaupt jemand damit beginnt.
Informationen zum Autor dieses Kommentars:
Michael Wudi ist Redakteur bei Studis Online und war im Studium hochschulpolitisch aktiv – insbesondere gegen die Einführung von Studiengebühren in Niedersachsen 2006.
Genau so sollte man sich aber auch daran erinnern, dass es nicht DIE Studierenden gibt. Meist war es am Anfang eine eher kleine Gruppe, die sich für neue Dinge eingesetzt hat – und die zeitweise dann auch die (sonst schweigende) Mehrheit mobilisieren konnte. Genau so gab und gibt es auch Studierende, die sich gegen Weltoffenheit und solidarisches Verhalten stellen. Zu Zeiten der Weimarer Republik waren in Deutschland viele Studierende für antisemitische und rassistische Ideen offen und nur wenige Studierende stellten sich dem frühzeitig entgegen. Zum Glück gibt es keinen Automatismus, dass sich Geschichte wiederholen muss.
Zweiter Nachtrag für Kurzentschlossene:
Die internationale Hash-Tag-Recherche mit #17now hat ein Ereignis leider gar nicht im Fokus gehabt: Vom 18. bis zum 20. November 2016 findet die Konferenz Lernfabriken meutern in Duisburg statt:
Im November werden wir Lernfabriken #meutern ! #hopotweet pic.twitter.com/uQYOCHnNjy
— (((tobyeisch))) (@toby_eisch) 31. Juli 2016
Mehr Infos unter lernfabriken-meutern.de
Weiteres & Quellen
- Mehr zum geschichtlichen Hintergrund des International Students' Day findet ihr hier auf Studis Online
- Kampagnenseite International Students' Day des OBESSU
- Global Call for Action: International-Students' Day 2016