Ethik & Hochschule
Tierverbrauch im Studium
Tierverbrauchende Übungen sind noch immer fester Bestandteil lebenswissenschaftlicher Studiengänge und führen bei einigen Studierenden zu Gewissenskonflikten. Das Projekt SATIS informiert Studierende über tierverbrauchsfreie Lehrmethoden und vermittelt alternative Lehrmaterialen, rechtliche und fachliche Beratung sowie Informationen über bereits bestehende Alternativen eines tierverbrauchsfreien Studiums.
Von Christiane Hohensee

tilialucida - Fotolia.com (stock.adobe.com)
Tierverbrauch gibt es nach wie vor in Studiengängen wie Biologie, Human- oder Veterinärmedizin. So mancher wäre vermeidbar.
Fast ist das erste Semester geschafft, nur noch zwei Kurstage. Heute ist Präparationskurs. Vor jedem zweiten Studenten liegt eine aufgetaute Ratte in der Präparationsschale. „Heute schneiden wir ein Säugetier auf und legen die Organe frei“, erklärt der Kursleiter, „gearbeitet wird paarweise“. Anna-Lena schluckt: bei ihr zuhause springen ihre Wüstenrennmäuse munter umher. Erst letzte Woche war sie mit ihren dreien bei der Vorsorgeuntersuchung, glücklicherweise sind sie gesund. Nun sitzt sie vor dem toten Tier. Kalt und steif ist die weiße Ratte mit blauen Pfoten. „Ich wollte das Leben studieren“, denkt sie, „nun wird den Tieren wegen uns Studenten das Leben genommen“. „Los, lass uns endlich anfangen“, drängelt ihr Partner, „das wird sicher interessant“. „Ich frage mich, ob ich mich bei der Studienwahl vertan habe“, denkt Anna-Lena.
In 2016 wurden in Deutschland 2.854.586 Tiere in Tierversuchen verbraucht. Die Maus ist seit Jahren mit Abstand die am häufigsten in Tierversuchen verwendete Tierart. In 2016 litten und starben 1.992.749 Mäuse, gefolgt von 317.357 Ratten, 310.637 Fischen und 99.084 Kaninchen. In Deutschland leiden oder sterben in der Hochschulausbildung oder beim Training für den Erwerb, die Beibehaltung oder Verbesserung beruflicher Fähigkeiten 48.941 Tiere, das sind 1,72 Prozent der erfassten Tiere in der Statistik
1.
Die Tiere kamen vor allem in der biologischen, humanmedizinischen, tiermedizinischen, ernährungswissenschaftlichen und anderer lebenswissenschaftlicher Forschung zum Einsatz. Im Bereich der Hochschulausbildung oder beim Training für den Erwerb, die Beibehaltung oder Verbesserung beruflicher Fähigkeiten waren 32.410 Mäuse, 10.092 Ratten, 2.478 Fische und 1.676 Schweine.
Der sogenannte Tierverbrauch im Studium ist nicht dasselbe wie ein Tierversuch. Bei Tierversuchen werden lebende Tiere eingesetzt. Beim Tierverbrauch werden Tiere getötet, ihnen die Organe entnommen, aufbereitet, um daran etwas zu untersuchen beziehungsweise zu messen.
Im Studium wird man in der Regel mit bereits getöteten Tieren konfrontiert, die dann aufgeschnitten und untersucht werden. Das ist Tierverbrauch. Tierversuche spielen eher bei der Ausbildung zum Tierpfleger oder z.B. Tierversuchskundler eine Rolle. Ohne entsprechende Ausbildung darf man keine Tierversuche durchführen.
Hilfe für Studierende im Gewissenskonflikt
Es gibt Studienanfänger, für die ist aus tierethischen Gründen ein Tierverbrauch während des Studiums undenkbar. Da diese Studierenden an den Unis meist keine Ansprechpartner finden, startete der Bundesverband Menschen für Tierrechte das
Onlineprojekt SATIS. Hier werden Studierende aus ganz Deutschland beraten, wo sie ohne Tierverbrauch studieren können. SATIS hatte als Beratungsinstrument 2010 das sogenannte
Ethik-Hochschulranking entwickelt und aktualisiert es in regelmäßigen Abständen. Das Ranking basiert auf einem Ampelsystem, das die Studiengänge in „tierverbrauchsfrei“, „Umgehungsmöglichkeit durch Fehltage“ oder „Tierverbrauch“ differenziert.
In einer Aktualisierung des Studiengangs Humanmedizin hat sich 2014 herausgestellt, dass es in diesem Studienfach inzwischen häufiger möglich ist, ohne Tierverbrauch zu studieren. In 2014 hatten von 35 Universitäten noch zwölf Tierverbrauch im Studienfach Humanmedizin. Während jedoch in Aachen, Dresden, Duisburg-Essen, Gießen, und Würzburg Mäuse oder Ratten genutzt wurden, setzte man in Jena und Köln Frösche ein. Ein Studienleiter in Gießen wollte die Rattenpräparation mehrfach einführen, Würzburg nutzte noch immer „Futter“-Ratten aus der Zoohandlung.
Vermeidung von Tierverbrauch möglich – Alternativen sind aber oft nicht bekannt

Unsere Autorin Dr. rer. nat. Christiane Hohensee hat Biologie und Geografie an der Freien Universität Berlin studiert, promovierte an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus und schloss noch ein Masterstudium der Toxikologie an der Charité Berlin an. Ihre Masterarbeit am Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung in Düsseldorf bei Prof. Ellen Fritsche hatte das Thema „Mechanistische Studien zu Signalwegen, die die Zellmigration neuraler Vorläuferzellen beeinflussen“, befasste sich also mit Ersatzverfahren zum Tierversuch im Bereich Entwicklungsneurotoxikologie.
Sie ist wissenschaftliche Referentin beim Bundesverband Menschen für Tierrechte, Leiterin von InVitro+Jobs, eine Informationsplattform für tierversuchsfreie Forschung und Entwicklung, sowie von SATIS, der Informationsplattform für ein tierfreies Studium.
Weitaus traditioneller sieht es beispielweise beim Studiengang der klassischen Biologie aus. Der Studiengang ist breit gefächert, bietet also eine Ausgangsbasis für angehende Zoologen, Botaniker, Ökologen und Molekularbiologen. Eine tierverbrauchsfreie Spezialisierung durch Wahlfreiheit ist allenfalls nach Abschluss des Grundstudiums bzw. Bachelors möglich. Hier ist beispielsweise seit je her der Präparationskurs gleich im Anfängerpraktikum unter dem Titel Stammesgeschichte der Tiere, Morphologie oder Anatomie Teil des Studiums. Lehrgangsleiter argumentieren, dass die Studenten in der Lage sein müssen, einen Organismus bis ins Innerste untersuchen zu können. Dummies und Modelle aus Kunststoff seien wegen ihrer Beschaffenheit als Ersatz nicht geeignet. In Formalin eingelegte Gewebe veränderten ihre Eigenschaften und entsprächen nicht der natürlichen Situation bei der Präparation.
Häufig kennen nur die Kursveranstalter in der Physiologie Computersimulationsprogramme und führen Probandenversuche durch. Anatomen kennen sich häufig mit den angebotenen Alternativen nicht aus (z.B. von InterNICHE
2) und haben keinen entsprechenden Etat. Das Entwicklerteam der Virtual Physiology-Programme in Marburg (Module SimHeart, SimVessel, Drug Laboratory, SimMuscle, SimNerv und SimNeuron) haben die Programme neu aufgelegt und entscheidend verbessert
3. Es fehlt aber häufig an Studierenden, die ihre Kursveranstalter auf diese Programme aufmerksam machen.
Freiburg: Bio ohne Tierverbrauch
Erfreulich ist die Situation in Freiburg. Sowohl an der Albert-Ludwigs-Universität als auch an der pädagogischen Hochschule (PH) Freiburg kann ohne Tierverbrauch Biologie studiert werden. Eine Umfrage 2016 ergab, dass die Studierenden grundsätzlich keinen „tierischen Organismus“ umbringen oder sezieren müssen, wenn sie das nicht wollen. An der pädagogischen Hochschule Karlsruhe gab es zu diesem Thema zumindest erste Gespräche. Tendenziell gibt es an den Universitäten einen Rückgang der Anzahl verwendeten Tierarten.
Spendertierprogramm: Bisher nur ein Konzept
Als Alternative zu einem Verbrauch von überzähligen Versuchstieren aus anderen Einrichtungen oder gekauften Tieren aus der Zoohandlung böte sich die Umsetzung des Spendertierprogramms an. Hier werden an Tieren Präparationstechniken erlernt und geübt, die aus medizinischen Gründen eingeschläfert oder aus Altergründen auf natürliche Weise gestorben sind. Derartige Möglichkeiten werden bislang an den tierärztlichen Hochschulen selbstverständlich genutzt, da in deren angeschlossenen Kliniken jede Menge verstorbene Tiere anfallen. Das Prinzip ließe sich jedoch auch auf andere Studiengänge übertragen.
Dazu ist jedoch das Engagement von Studierenden und finanzielle Unterstützung notwendig. SATIS erhält in diesem Zusammenhang des Öfteren Angebote von Tierhaltern, die ihr verstorbenes Tier als Spende zur Verfügung stellen möchten. Die Halter leben jedoch nicht selten in kleinen Orten, an denen es keine Universität gibt. Angebot und Nachfrage kommen nicht zusammen. Auch Tierheime wären zur Zusammenarbeit bereit. Es fehlt jedoch an Lagermöglichkeiten und logistischen Lösungen. Die verstorbenen Tiere müssen tierärztlich begutachtet worden sein, um sicherzustellen, dass sie keine übertragbaren Krankheiten haben. Das ist, da die Tiere in der Regel beim Tierarzt eingeschläfert werden, leicht möglich. Nach Begutachtung müssten die Tiere unmittelbar in eine Kühlanlage für eine weitere Lagerung gebracht werden beziehungsweise in einem Kühlwagen zum Ort ihrer Bestimmung transportiert werden.
Tierverbrauchsfreies Studium zukünftig in fünf Hochschulgesetzen
Vier Bundesländer haben bereits das Recht in ihrem Hochschulgesetz verankert, dem Studierenden, der aus Gewissensgründen den Einsatz von Tieren oder Tierorganen ablehnt, die Möglichkeit einzuräumen, die „vorgeschriebenen Studien- und Prüfungsleistungen ohne die Verwendung eigens hierfür getöteter Tiere“ zu erbringen. Das sind das Saarland, Bremen, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Mehr Infos dazu
hier. Berlin arbeitet gerade an solch einem Gesetzentwurf.
Voraussetzung ist ein begründeter Antrag des Studierenden, über den in einer Einzelfallprüfung entschieden wird. Für Studierende ist die Vorschrift eine rechtliche Argumentationshilfe und ein wichtiger Rechtsbeistand in Fällen, in denen tierverbrauchsfrei erbrachte Studienleistungen beispielsweise nicht anerkannt werden. In einem Fall hatte die Universität Köln eine Studienleistung mit einer Alternative zum Tierverbrauch in Mainz nicht anerkannt. Dies ist mit dem neuen Hochschulgesetz in NRW nicht mehr möglich.
Während die moderne Lebenswissenschaft auf eine tierversuchsfreie Forschung zu steuert, spiegelt sich dies in der Ausbildung noch nicht flächendeckend wider. Gemäß Erwägungsgrund 12 der europäischen Tierversuchsrichtlinie (63/2010/EU) soll der Einsatz von Tieren zu Bildungszwecken nur dann erwogen werden, wenn es keine tierversuchsfreien Alternativen gibt.
Als „Alternativen“ sind gemäß Tierschutzgesetz vom 7.8.2013 filmische Darstellungen, Computersimulationen sowie zum Beispiel Übungen an Modellen beschrieben. Nach Erwägungsgrund 46 der europäischen Tierversuchsrichtlinie sollen die Mitgliedstaaten durch Forschung und andere Mittel zur Entwicklung und Validierung alternativer Ansätze beitragen, um den Einsatz von Tieren zu vermeiden, zu reduzieren und um das Leid der Tiere zu minimieren. Das passiert vielfach in der Forschung und in der Chemikalienregulierung, aber noch zu wenig in der Ausbildung.
Lehrstühle für tierversuchsfreie Verfahren
In der Praxis werden diese Vorgaben noch nicht schnell genug umgesetzt. Es gibt bislang noch zu wenig Lehrstühle, die moderne, tierfreie Methoden lehren. Hinzukommt, dass das Studium dann nicht ausschließlich den Ersatzverfahren zum Tierversuch zum Inhalt hat, sondern auch die Themen Reduktion von Tierversuchen und Verfeinerung von Tierversuchen (sogenannte 3R).
Hier hat Berlin zum Beispiel die Berlin-Brandenburger Forschungsplattform BB3R mit integriertem Graduiertenkolleg vor einigen Jahren gegründet, Düsseldorf hat das Zentrum zu Ersatz von Tierversuchen (CERST) gerade finanziell aufgestockt, in Frankfurt am Main wurde eine Forschungsstelle am Buchmann Institute for Molecular Life Sciences (an der Goethe-Universität Frankfurt) eingerichtet und in Kostanz gibt es den Lehrstuhl für in-vitro-Toxikologie und Biomedizin/Alternativen zum Tierversuch. Auch in Niedersachsen ist ein Forschungsverbund R2N eingerichtet worden. Er wird Verbund wird von der Medizinischen Hochschule Hannover, der Tierärztlichen Hochschule Hannover, der Universitätsmedizin Göttingen und der Leibniz Universität Hannover getragen.
Das heißt aber leider nicht, dass ein Student dort nur Ersatzverfahren zum Tierversuch studieren kann. Hier wird fortschrittliche Arbeit bei der Entwicklung von tierfreien Methoden geleistet. Aber es darf nicht vergessen werden, dass es häufig Lehrstühle und keine Studiengänge sind. Studierende können dort Kurse belegen oder sich um eine Abschlussarbeit bewerben, jedoch nicht das gesamte Studium dort absolvieren. Aber es sind, in Kombination mit dem Recht auf ein tierverbrauchsfreies Studium, bedeutende Schritte in die richtige Richtung.
Was tun als StudieninteressierteR oder Studi?
- Nehmt Kontakt mit den Hochschulen auf und fordert ein Studium ohne Tierverbrauch (nicht gleichzusetzen mit Tierversuchen). Fragt nach alternativen Lehrmethoden.
- Wendet euch an das Wissenschaftsministerium und fordert Subventionen für tierverbrauchsfreie Verfahren in der Hochschullehre und tierverbrauchsfreie Lehrstühle.
- Organisiert Infostände zum Thema und klärt andere Mitstudierende und Dozenten über die Möglichkeiten von Alternativverfahren in der Hochschullehre auf.
Weitere Informationen / Quellen
SATIS – für ein Studium mit humanen Lehrmethoden
Ethik-Hochschulranking
Kontakt:
1 Tierversuchsstatistik des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL)
, siehe https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Tier/Tierschutz/Versuchstierdaten2016.pdf?__blob=publicationFile (Table 9: Use of species in procedures by purposes und Table 20: Use of species and genetic status in total)
2 http://www.interniche.org/de
3 Virtual Physiology: http://www.virtual-physiology.com/
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