Interview mit "Copy Man" Markus Henrik"Wir müssen wieder »back to the roots« kommen!"

Markus Henrik, Radiokolumnist, Musiker und Autor des Romans "Copy Man" ist am 19. und 20. März zu Gast auf der Leipziger Buchmesse.
Studis Online: In "Copy Man" schilderst Du sehr ausführlich die Probearbeit der drei Hauptfiguren bei der fiktiven Fig View AG. Inwiefern beruht der Teil des Buches auf eigenen Erfahrungen mit solchen oder ähnlichen "Praktika"?
Markus Henrik: Es ist heutzutage schwierig, die Grenzen zwischen Praktika und Probearbeiten zu ziehen. Außerdem gibt es ja auch noch diese ominösen "Infoveranstaltungen" oder Businesskontakte von Firmen, bei denen man sich für ein paar Tage einem Unternehmen "vorstellen" kann. Man bekommt den Eindruck vermittelt, dass da wichtige Leute sitzen und dass man, wenn man sich gut verkauft, vielleicht Chancen hat, einen Fuß in die Tür zu bekommen. Es ist nicht selten, dass die Unternehmen das einfach ausnutzen um - teilweise direkt von der Uni - motivierte und qualifizierte Leute einzuladen und denen frische Ideen aus den Fingern zu ziehen.
Ich habe z.B. eine Erfahrung mit der Marketingabteilung von einem Mobilfunkunternehmen gemacht. Da wurden wir mit ganz tollen Kugelschreibern und Aufklebern abgespeist und hinterher haben die tatsächlich Ideen von der Arbeitsgruppe umgesetzt. Ich habe außerdem diverse Praktika bei Musikverlagen gemacht und musste da diese klassischen "Mädchen-für-alles-Dienste" erledigen. Die Ausbeutung von qualifizierten Leuten, die direkt von der Uni kommen, hat mittlerweile System. All diese Erfahrungen haben mich, vor allem was den Teil mit der zweiwöchigen Probearbeitszeit in "Copy Man" betrifft, sehr inspiriert.
Die drei Hauptfiguren des Romans arbeiten am Ende des Romans sehr intensiv mit Diensten des "Web 2.0" (Social Networks, Blogs, Twitter, Online-Videoportale) um über die miesen Geschäfts- und andere Praktiken der Fig View AG zu informieren und andere Opfer ihrer Geschäftspraktiken zum Protest gegen die Firma zu mobilisieren. Im Rahmen der Bildungsproteste im vergangenen Jahr ist ja ebenfalls in großem Umfang Medienarbeit "von unten" gemacht worden. Was für Potentiale liegen deiner Einschätzung nach in dem Einsatz dieser Werkzeuge für Mobilisierung und das Organisieren von Protesten?
Das größte Potential ist sicher die Flexibilität, also dass man sich sehr schnell organisieren kann, z.B. mit kurzen Twitter-Nachrichten, über Status-Mitteilungen o.ä. Gerade beim Bildungsstreik lief ja sehr viel über StudiVZ, da gibt es ja Gruppen mit sechsstelligen Mitgliederzahlen und das ist wirklich eine Besonderheit. Ich wüsste gar nicht, wie das vor 10 Jahren gelaufen wäre und da ist auf jeden Fall auch noch viel Spielraum nach oben.
Früher war es, glaube ich, doch eher so, dass man sich gesagt hat: "Wir machen da eine Demo.", dann hat man einen Zeitpunkt verabredet und dann sind ganz viele Leute da hingekommen. Heute bietet das Netz eine Möglichkeit, den Protest viel diskursiver zu gestalten: Z.B. indem man sich zusammentut in irgendwelchen Foren und bestimmte Ideen erstmal diskutiert, bevor sie dann in die Tat umgesetzt werden. Ich glaube, das Web 2.0 ist ein sehr demokratisches Medium und es führt dazu, dass der Protest noch ein Stück demokratischer funktionieren kann, als das früher der Fall war.
Es ist in diesem Zusammenhang ja schon bemerkenswert, wie kommerzielle Plattformen wie StudiVZ sich von ihren Nutzern angeeignet und für ihre Belange genutzt werden...
Schon! Ich denke, man muss solche Netzwerke auch immer mit Vorsicht betrachten, aber wenn man sie sehr wachsam nutzt, also sich die Account-Einstellungen und auch die Datenschutzregelungen genau ansieht und da ein paar Sachen wegklickt, die erstmal automatisch aktiviert sind, wie z.B. personalisierte Werbung, dann bieten diese Plattformen eine unglaublich gute Chance etwas in Bewegung zu bringen und sie nicht nur als ein Lifestyle-Medium zu nutzen, sondern auch dafür, für sein Recht und für das Recht der Allgemeinheit einzustehen.
Zum Thema Bildungsstreik: Du bist ja fertig mit deinem Studium und arbeitest jetzt als Doktorand an der Humboldt Uni. Was hast du von den Besetzungen im letzten Semester und dem Bildungsstreik davor mitbekommen?
Ich habe da an der Uni momentan so einen "Zwischenstatus". Eigentlich ist es mittlerweile zu meinem Leben geworden, als Musiker zu arbeiten und Radiokolumnen und jetzt auch ein Buch zu schreiben. Ich fühle mich "dazwischen" auch ganz wohl, weil ich einerseits immer noch so eine Art Stimme derjenigen sein kann, die an der Uni studieren - wenn ich z.B. meine politischen Radiokolumnen mache oder wenn ich etwas texte. Andererseits habe ich aber auch schon eine gewisse Distanz zur Uni gewonnen. Was den Bildungsstreik und die Besetzungen betrifft, habe ich das allerdings mitbekommen und war auch auf den Demos mit dabei. Meine sehr aktive Zeit war aber vor drei Jahren, als es in erster Linie gegen Studiengebühren ging. Jetzt versuche ich, meinen Teil beizusteuern, indem ich mich meinen Radiokolumnen und der Musik widme. Und natürlich mit dem Buch.
Das Buch ist ja fiktiv und keine Dokumentation von etwas, was wirklich passiert wäre. Es soll auch dazu beitragen, dass man vielleicht ein paar Ideen bekommt, wie man das Web 2.0 noch nutzen kann, um Protest zu formieren. Wenn das jemand vom Bildungsstreik lesen und dann sagen würde: "Okay, davon habe ich ein paar Idee bekommen.", dann würde mich das natürlich besonders freuen. Es kann ja auch ein fiktiver Roman ein Beitrag dazu sein, dass man Ideen bekommt, um seine Protestkultur neu zu formieren.
Du schreibst in "Copy Man", dass die Protestkultur ausdifferenzierter sei als früher und rufst gleichzeitig dazu auf, sich gegen ungerechte Bedingungen zu wehren.
Mit dem Stichwort "Ausdifferenziertheit" sprichst du etwas Wichtiges an. Das Problem ist, es gibt heute nicht mehr die Themen, zu denen sich die Leute mit Hunderttausenden auf die Straße stellen. Ich glaube, dass die Probleme heute viel vielfältiger sind und die Gesellschaft ist auch viel vielfältiger geworden. Das Internet bietet aber gleichzeitig neue Möglichkeiten, mit diesen neuen Gegebenheiten umzugehen. Das heißt, dass man sich konzentrierter auf kleine Nebenprobleme einschießen und auch schon mit 100, 150 Leuten auf etwas aufmerksam machen kann. Das passiert ja z.B. mit Flashmobs. Wenn das politische Flashmobs sind, dann sind ja in der Regel nicht Hunderttausende daran beteiligt, sondern das sind medienwirksame kleinere Aufläufe.
In "Copy Man" schreibst du an einer Stelle von "dem schizophrenen Zeitgeist", der dazu führt, dass sich die eine Hälfte der Bevölkerung totarbeitet und mit Burnout endet und die andere Hälfte depressiv wird, weil sie keine Lohnarbeitsstelle findet. Was für Konsequenzen hat das deiner Meinung nach, wenn man sich z.B. nicht mit ausbeuterischen Arbeitsbedingungen abfinden will?
Ich glaube, dass man sich bemühen sollte, gewisse solidarische Grundgedanken wiederzufinden. Das bedeutet, dass man nicht überall, wo man ist, den Ellenbogen ausfährt, so nach dem Motto "Ich habe jetzt hier ein Praktikum und jetzt will ich mich hier durchboxen, komme was da wolle.". Man sollte auch darauf achten, was z.B. in einem Praktikum eigentlich passiert. Wird man in etwas reingezwungen, so nach dem Motto "Friss oder stirb" - also entweder du spielst dieses Spiel mit, dass du z.B. selbst bei nem Praktikum 12 - 14 Stunden arbeitest - oder du verlierst halt den Job und hast gar nichts? Damit das nicht passiert, sollte man sehr aufmerksam die Arbeitsbedingungen beobachten und da gibt es gute Möglichkeiten sich zu informieren und zu schützen.
Besonders für Praktikanten gibt es mittlerweile einige Interessensvereinigungen, z.B. den Verein Fairwork e.V. aus Berlin.1 Von denen werden u.a. ganz elementare Dinge erläutert, z.B. dass Praktikanten auch normale Arbeitnehmerrechte, Versicherungsrechte und auch Urlaubsrechte haben. Es gibt auch bestimmte Rechte auf Vergütung und es darf nicht sein, dass man einfach eine feste Stelle ersetzt. So ein paar Grundregeln sollte man kennen und da kann man auch das Netz zur Information nutzen. Ich denke, das Informieren und Solidarisieren mit Leuten, die in der gleichen Situation sind wie man selbst, ist sehr wichtig um auch wieder ein gesunderes Klima in diese Arbeitswelt reinzukriegen.
Was Arbeitsbedingungen betrifft, sind ja klassischerweise die Gewerkschaften die Interessenvertretung für lohnabhängig Beschäftigte. Wie schätzt du die Rolle der Gewerkschaften im Hinblick auf eine angemessene Entlohnung und korrekte Arbeitsbedingungen für Praktikanten ein?
Konkret auf Praktikanten bezogen sind die Gewerkschaften ja Gott sei Dank recht engagiert. Es gibt z.B. eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zu dem Thema, die von Gewerkschaften unterstützt wurde.2 Ver.di und die DGB Jugend bieten auch Informationen dazu, wie man als Praktikant rechtlich gestellt ist und wo Ausbeutung anfängt.3
Es ist letztlich auch wichtig, den Grundgedanken eines Praktikums zu verstehen. Praktika sind ja an und für sich nichts schlechtes. Es geht auch nicht darum, Praktika abzuschaffen oder zu verteufeln. Ein Praktikum ist quasi ein Geben und Nehmen. Man lernt die Arbeitsstelle kennen und gleichzeitig bringt man sich schon etwas ein. Aber es geht nicht darum, ohne oder mit nur sehr geringer Entlohnung eine normale Arbeitskraft zu ersetzen. Und da sehe ich auch die Gewerkschaften in der Pflicht, dass die mit darauf achten, dass diese Ausbeutung nicht passiert. Häufig gibt es auch jüngere Personalvertretungen und Betriebsräte, an die man sich wenden kann um sich zu informieren.
Ein großes Thema an den Unis ist ja derzeit der Bologna-Prozess und die Bachelor-/Master-Studiengänge. In vielen Studiengängen werden die Studierenden quasi abgefüllt mit Anforderungen, so dass kaum noch Zeit bleibt für Lohnarbeit oder hochschulpolitisches Engagement. Kannst du etwas dazu sagen, wie es z.B. an der Humboldt Uni in Berlin diesbezüglich aussieht?
Ich hatte mit diesem Problem während meines gesamten Studiums zu tun. Ich habe in Paderborn einen Bachelor gemacht und war dort quasi "Student der ersten Stunde". Das war ein Bachelor, der sich aus Musik- und Medienwissenschaftsmodulen zusammengesetzt hat. Absolut jedes Seminar wurde benotet und es bestand ein sehr hoher Leistungsdruck. Es war nicht mehr der klassische Gedanke vorhanden, dass ein Studium mit der Entfaltung der Persönlichkeit zu tun haben soll und dass man z.B. selber entscheiden kann, zu welchem Seminar man geht. Man musste einfach innerhalb dieser drei Jahre fertig sein, sonst hatte man ein Problem.
Dann bin ich zum Studieren nach England gegangen, wo ich meinen Master gemacht habe. Ich hatte den Eindruck, dort etwas vorweggenommen zu sehen, was in Deutschland vielleicht auch immer mehr passieren könnte, nämlich so eine Art "Degree Shopping-Mentalität". Das heißt, man hat für seinen Bachelor oder Master Studiengebühren bezahlt und jeder der dort hingegangen ist, hat wie selbstverständlich angenommen, dass er auch den Abschluss kriegt, egal mit was für einer Leistung. Da wurde zwar auch alles sehr streng benotet und man musste überall Leistungen erbringen, aber jeder kam da so einigermaßen durch.
Die ursprüngliche Idee von einem Studium, das den Menschen auch die Chance gibt, sich selber zu entwickeln und auch den politischen Geist in sich zu entdecken, der ist absolut gefährdet. So werden auch politische Bewegungen in gewisser Weise im Keim erstickt, weil man Probleme damit bekommt, die geforderten Leistungen zu bringen, wenn man sich mal länger engagiert. Ich weiß jetzt nicht, ob das beim Bologna-Prozess - ich sag das jetzt mal so verschwörungstheoretisch - die Idee ist, dass man sagt: "Okay, wir hauen die Studenten jetzt so voll mit Sachen, dass die jetzt nur noch eine träge Masse werden und sich überhaupt nicht mehr politisch formieren." Das glaube ich zwar nicht, aber ich glaube schon, dass dieser Prozess mit sehr großer Vorsicht und sehr kritisch betrachtet werden muss. Es findet jedenfalls europaweit eine totale Verschulung des Universitätswesens statt. Man hat den Eindruck, dass das alles in die Richtung geht, dass man so ein kleines Rädchen im System wird, und nicht die Möglichkeit bekommt, das Zahnradwerk ganz neu zu stellen und da muss man gegenangehen. Wir müssen da wieder etwas "back to the roots" kommen.
Nochmal zu deiner Musik: Sind in der nächsten Zeit neue Songs von dir zu erwarten?
Ja, ich habe jetzt zum Sommer wieder etwas Neues geplant und ich mache ja auch bei meinen Lesungen Musik. Für die aktuellen Lesungen habe ich einen Song geschrieben, der versucht, die Spam-Kultur, in der wir mittlerweile leben, zu reflektieren. Es gibt ja in "Copy Man" eine Stelle, wo die Probearbeiter bzw. Praktikanten Leute anrufen und ihnen irgendwelchen Quatsch andrehen sollen um so "Direktmarketing-Kompetenzen" zu erwerben. Kein Tag vergeht ohne Werbeflut: Man geht morgens zum Briefkasten und findet dort einen Stapel Werbung, dann checkt man das E-Mail-Fach voller Spam-Nachrichten und kriegt noch einen Anruf von irgendeinem CallCenter. Dazu gibt es jetzt jedenfalls einen Song von mir.
Ich versuche eigentlich insgesamt meine Arbeit zu verbinden, also den Roman mit meiner Musik und meinen Internet V-Logs, die auch auf Youtube laufen. Damit versuche ich ein bisschen die Grenzen zu sprengen. Mir ist die Botschaft und die Idee dahinter wichtig und ob ich die jetzt mit Musik oder mit einem Buch ausdrücke: Mir macht das alles Spaß.
Möchtest du unseren LeserInnen noch etwas mitteilen?
Am 19. und 20. März bin ich auf der Buchmesse in Leipzig, lese aus "Copy Man" und mache Musik. Näheres dazu findet ihr auf meiner Homepage unter "Termine". Da freue ich mich natürlich über Publikum. Außerdem freue ich mich immer über Nachrichten, Anmerkungen und bin offen für Kritik und Anregungen.
Vielen Dank für das Interview.
Das Interview führte Florian Muhl.
Fußnoten
1 Fairwork e.V.
2 Hans-Boeckler-Stiftung - Studie "Generation Praktikum?" (2007)
3 Seite der DGB-Jugend zu "Students at work"
Artikel und Materialien zum Weiterlesen
- Homepage von Markus Henrik
- Studis Online - Die Generation Praktikum (05.04.2006)
- Studis Online - Wann Praktikanten eine Bezahlung verlangen können (04.12.2007)
- Junge GEW Köln - Materialiensammlung zum Thema "Generation Praktikum"
- Französischsprachige Seite der Vereinigung "Génération Précaire", die im November 2005 einen Streik der PraktikantInnen organisiert hatte