Auf was achten?Tipps und Tricks für die studentische Öffentlichkeitsarbeit
Von Jens Wernicke
JedeR politische VerantwortungsträgerIn lebt in dem Widerspruch, zum einen die Positionen des eigenen Verbandes bzw. Zusammenhanges so breit als möglich in die Öffentlichkeit bringen zu sollen und zum anderen die politische Tendenz einiger (gerade der großen) Medien zu kennen und hiermit umzugehen.
Anders gesagt: Es gibt keine neutrale "Öffentlichkeit", in welcher alle in der Gesellschaft entwickelten politischen Positionen authentisch und gleichberechtigt dargestellt werden können. Vielmehr ist die veröffentlichte Meinung von klischeehaften Versimplifizierungen und Polarisierungen sowie einer tendenziellen Annäherung an die jeweiligen politischen und ideologischen Mainstreamauffassungen geprägt (u. a. weil diese "Nähe" den Zugang zu Ressourcen und Informationsprivilegien sicherstellt). Gerade in den letzten Jahren fand eine fast schon sprichwörtliche neoliberale "Selbstgleichschaltung" in Medien und Politik statt.
Kurzfristig lassen sich die daraus resultierenden Probleme in Bezug auf das öffentliche Wahrgenommenwerden von sozialen Bewegungen zwar nicht beseitigen. Bei Beachtung einiger Vorsichtsmaßnahmen jedoch ein wenig reduzieren.
Das Caesar-Prinzip: Teile und herrsche
Eine generelle Medienlogik besteht darin, komplexe gesellschaftliche bzw. politische Fragen auf ein dualistisches – häufig zusätzlich personifizierendes – Schema zu reduzieren: "richtig"/"falsch", "gut"/"böse". Wenn zu dieser Logik ein manifestes politisches Interesse hinzukommt, wird die Sache kompliziert. Seit den späten 60er Jahren ist es etwa in der Bundesrepublik eine beliebte Übung, soziale Bewegung, die aus herrschender Sicht "aus dem Ruder zu laufen" drohen und tatsächlich öffentliche Aufmerksamkeit auf sich lenken, willkürlich zu unterteilen: in Legale/Konstruktive/Gesprächsbereite auf der einen und Militante/Uneinsichtige/Chaoten auf der anderen Seite.
Dies bewirkt meist nicht nur eine Schwächung der - nun gespaltenen, kleineren und möglicherweise zerstrittenen - Bewegung, sondern ebenso eine Re-Integration der als "Gute" dargestellten ProtestlerInnen in die herrschende Logik und das bestehende System.
Eine Ablehnung und Vermeidung dieser Spaltung von studentischer Seite ist dabei nicht gleichbedeutend mit der automatischen Befürwortung jedweden Aktionismus, sondern erst einmal nur ein Plädoyer dafür, alle Aktionsformen breit und solidarisch zu beraten, politisch zu verantworten und ggf. zu verwerfen.
Ob eine Unterschriftensammlung mehr bewirkt als eine Institutsbesetzung - oder umgekehrt - lässt sich nicht abstrakt an der "Form" als solcher entscheiden, sondern nur auf eine konkrete politische Situation bezogen diskutieren. Um diese Diskussion zu ermöglichen, sind die politische Autonomie der eigenen Selbstorganisation sowie die Verteidigung der dafür erforderlichen Strukturen (Vollversammlungen, Protestplena etc.) notwendig.
Gewolltes und versehentliches Missverstehen
Oftmals in letzter Zeit wurde besonders durch RepräsentantInnen der Studierendenproteste Gesagtes in Interviews falsch oder missverständlich wiedergegeben, wurden Studierende also falsch oder aus dem Zusammenhang gerissen zitiert. Um dies zu verhindern, sollten gegebene Interviews grundsätzlich gegengelesen und vor Abdruck autorisiert werden.
Komplizierter verhält sich die Sache bei Interviews auf Tonkonserven (als Materialrecherche für spätere Hintergrundberichte) oder bei Telefonrecherchen von JournalistInnen, die etwa anrufen und anfragen "Was meint ihr denn dazu?". Zwar handelt es sich hierbei um ein legitimes journalistisches Mittel, dennoch verliert mensch jedoch vollkommen die Einflussmöglichkeiten auf den letztendlichen redaktionellen (Zusammen-)Schnitt.
Folgender Ablauf empfiehlt sich deshalb: Der Journalist oder die Journalistin befragt eineN zu einem Thema, macht sich Notizen und entscheidet danach, was er oder sie davon als "studentische Position" zitieren will; die zu treffende Auswahl der gebrachten Aussagen und Argumente liegt dann schlussendlich vollkommen in seinem oder ihrem Ermessensspielraum! Um den Inhalt dennoch zu unseren Gunsten zu beeinflussen, frage mensch daher vor Beendigung eines solchen Gespräches bspw.: "Darf ich mich noch einmal davon überzeugen, ob Sie mich richtig verstanden haben? Schließlich enthält unser Thema in der öffentlichen Debatte einige Tretminen, die es für uns zu vermeiden gilt!". Hieraufhin liest der Journalist oder die Journalistin noch einmal die von ihm oder ihr notierten Positionen vor und erhält mensch die Möglichkeit, eine Formulierung noch einmal zu korrigieren oder auszuschließen. Zwar handelt es sich bei dieser Vorgehensweise nicht um eine Hundertprozent-Garantie für Authentizität. Dennoch schließt sie die gröbsten Missverständnisse aus.
Wenn mensch sich live vor einem Mikro verplappert, bleibt nur noch die politische Geistesgegenwart, sich umgehend zu korrigieren!
Last but not least ist schließlich das am sichersten (freilich aber auch am schwierigsten), was mensch selbst schriftlich formuliert: Indem etwa in Vorahnung sich anbahnender Konflikte (und eine von außen provozierte Militanz-Debatte wird zunehmen, solange eine soziale Bewegung auf einem hohen politischen Level stark bleibt) politische Positionen (in Resolutionen und/oder Presseerklärungen) bereits vorformuliert und klar auf den Punkt gebracht werden. In Presseerklärungen lässt sich auch gut wörtliche Rede unterbringen, die dann öfters als Zitat ihren Weg in die Zeitungen findet.
Politische Analysen, Strategien und Visionen vermitteln stärkere Glaubwürdigkeit
Oftmals haben in der Medienberichterstattung die "Autoritäten" das letzte Wort. In der Regel sind dies SpitzenpolitikerInnen und so genannte "ExpertInnen" - wobei studentische Problemanalysen und Lösungsansätze, wenn überhaupt, nur in einem Nebensatz erwähnt werden.
Das journalistische Resultat einer solchen Praxis sieht dann am Ende etwa folgendermaßen aus: Die Studierenden sind gegen Studiengebühren und artikulieren dies. Anette Schavan kommt zu Wort und unterstellt den Studierenden, die Öffentlichkeit falsch zu informieren. Sie behauptet, Studiengebühren seien sozial gerecht. Schließlich wirkt der ganze Bericht "ausgewogen" (jede Seite kam einmal zu Wort), ist er aber nicht: Ganz im Sinne der vorherrschenden Meinung werden die Studierenden als ewig Gestrige präsentiert; ihre Forderungen werden als dumm, unrealisierbar und unsolidarisch abgetan; am wichtigsten aber: ihre Lösungsansätze werden mit keinem Wort erwähnt. Somit ergibt sich das Bild: Während alle den Gürtel enger schnallen müssen und der Staat vorne und hinten spart, fordern die Studierenden eine Extrawurst.
Um solcherlei Berichterstattung zu durchkreuzen, empfiehlt sich, auf das Wesentliche reduzierte Aussagen zu machen. Aussagen also, aus denen kaum mehr etwas herausgekürzt werden kann und in denen die eigene politische Vision bereits mit enthalten ist.
Am besten vermeidet mensch also die pure Argumentation "Studiengebühren sind ungerecht", sondern sagt stattdessen: "Die deutsche Steuerquote ist die x-niedrigste in Europa; Geld ist genug da - nur falsch verteilt. Wir jedenfalls haben es nicht. Während sich die Vermögenden dank der Privatisierung öffentlicher Bildung immer weiter und weiter aus der sozialen Verantwortung ziehen. Wir stehen hier, weil wir für eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums sind. Hin zu KiTas, Arbeitslosen etc. Aber solidarisch, d. h. und 'von oben nach unten'". Einer solchen Argumentation wäre nicht mehr so einfach mit den üblichen Klischees aus dem Wege zu gehen.
Türöffner nutzen – Erhöhung der Präsenz
Polemische Zuspitzungen erhöhen die Chance, wahrgenommen bzw. zitiert zu werden. Abgesehen davon sind sie bestens geeignet, den (politischen) Gegner in argumentative Bedrängnis zu bringen.
Frau Schavan sagt bspw. in einem Beitrag, die CDU 'glaube', dass die Finanzierung des deutschen Bildungssystems durch Studiengebühren gerechter würde. Eine Erwiderung hierauf könnte (denn mit eben dieser Äußerung wird öfter zu rechnen sein) etwa lauten: "Wie Frau Schavan immer wieder betont, 'glaubt' die CDU, hierdurch dieses und jenes erreichen zu können. Wir Studierenden positionieren uns jedoch nicht aufgrund von Glaubenfragen, sondern wissen augrund empirischer Daten aus internationalen Vergleichen, dass es nirgends auf der Welt 'sozial verträgliche' Studiengebühren gibt."
Auch studentische Aussagen, wie sie bspw. während der Proteste im Jahre 2003 fielen, machten es PolitikerInnen nicht eben leicht. Nachdem die damalige Thüringische Wissenschaftsministerin in einem Interview sinngemäß gesagt hatte, den Studierenden ginge es doch noch viel zu gut, die Lehr- und Lernbedingungen seien "ideal", argumentierte die Studierendenvertretung fortan: Wenn Frau Schipanski tatsächlich meint, uns ginge es gut, zeigt dies leider nur, das sie lange schon vollkommen den Bezug zur studentischen Realität verloren hat und wahrscheinlich seit Jahren an keiner Universität mehr gewesen ist. Auf diese Aussage, die nicht mehr einfach mittels Totschlagargumenten abzutun war, musste Frau Ministerin reagieren; und tat dies dann auch: Sie stellte sich einer durch Studierende organisierten Podiumsdiskussion.
Resümee
Für die studentische Pressearbeit in Protestzeiten kann daher abschließend geraten werden, stets die Oberfläche zu durchstoßen und auf gesellschaftliche Kernwidersprüche hinzuweisen (Reichtum-Armut; Arbeit-Kapital). Nur innerhalb dieser Zusammenhänge lassen sich vordergründige Fragen (Studiengebühren ja oder nein?) tatsächlich sinnvoll diskutieren. Auf diese Weise lässt sich auf die politische Präsentation eines Themas (Stichwort: "Rahmenveränderung") Einfluss nehmen.
In einem ergänzenden Schritt gilt es, einprägsame politische Definitionen (..."sozial verträgliche Studiengebühren sind ein Widerspruch in sich!"; "gleichviel bezahlen ist unter ungleichen Voraussetzungen niemals gerecht"...) zu entwickeln und schließlich bei polemischen Zuspitzungen zu enden. Wobei "Polemiken" auch und insbesondere meint, die zu erwartenden Argumente der "Gegenseite" bereits vor ihrer Artikulation ad absurdum zu führen.
Links
- HoPo-Hintergrund bei Studis Online mit vielen Hintergrundartikeln zu Studiengebühren, Chancengerechtigkeit, Demokratisierung der Hochschulen, kritische Wissenschaften u.v.a.
- fzs-Broschüre "Pressearbeit für Studierendenvertretungen"
- fzs-Broschüre "Aktion bis Zuwiderhandlung - Das Hochschulstreikhandbuch von A-Z"
- Jens Wernicke et al.: Handbuch zur studentischen Protestorganisation
- Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS): Argumente gegen Studiengebühren. Eine Widerlegung von Behauptungen. Heft 2 - überarbeitete 4. Auflage
Hinweis: Für weiterführende Hinweise und Kritik bedankt sich der Autor bei Torsten Bultmann (BdWi).
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