Was ist eigentlichNeoliberalismus?
Eine Einführung in die neoliberale Ideologie von Jens Wernicke
Meist wird der Begriff "Neoliberalismus" nur als politisches Schlagwort benutzt, ohne für die ZuhörerInnen und LeserInnen mit irgendwelchen Inhalten gefüllt zu werden. Von der Wortbedeutung her bedeutet er nichts anderes als "Neue freiheitliche Weltanschauung". "Neo" steht dabei für Neu. "Liberal" für freiheitlich. Und die Endung "Ismus" deutet – wie auch bei Katholizismus, Sozialismus etc. – auf eine Weltanschauung hin.
Da die faktische Wirkung und konkrete Praxis dieser neoliberalen "Weltsicht" und Politik schwer mit einem Lehrsatzes zu erklären ist, schauen wir uns zunächst, zur Abgrenzung des Alten vom Neuen, die "alte freiheitliche Weltanschauung" an; und untersuchen hiernach, was das spezifisch Neue am Neoliberalismus, seinen Zielen und seinen Auswirkungen ist.
Der Vorläufer und sein Glücksversprechen: Wirtschaftlicher Liberalismus und maximaler Wohlstand für alle
Mit der Französischen Revolution von 1789 wurde auf dem europäischen Kontinent damit begonnen, die Rechte (und Freiheiten) der absoluten Herrscher einzuschränken. Es entstanden erste Demokratien und wurden Bürgerrechte eingeführt. Der bürgerliche Staat war geboren.
Es wurde damit begonnen, die Gesetzgebung, die Gerichte, das Militär und die Polizei unter demokratische Kontrolle zu stellen. Auch wurde Produzieren und Arbeiten nun völlig anders gestaltet: Die Leibeigenschaft wurde aufgehoben, es gab erstmals so etwas wie freie Berufswahl und zumindest wer es sich leisten konnte, konnte ein Gewerbe gründen. Technischer Fortschritt setzte ein. Die Kirche verlor ihr Monopol darauf, was gesellschaftlich gedacht werden durfte. Die Wissenschaften entstanden, zum Beispiel die Ökonomie.
Einer der ersten Ökonomen, der für die neu entstehende kapitalistische Wirtschaft versuchte, Vorhersagen zu treffen und Regeln aufzustellen, war Adam Smith (1723 – 1790). Er veröffentlichte sein bis heute weltbekanntes Buch "An Inquiry into the Nature and Causes of the wealth of Nations" (Eine Untersuchung über die Ursachen und Gründe des Wohlstands der Nationen). Darin kommt er zu dem Schluss, dass die kapitalistische Wirtschaftsordnung die beste aller möglichen Gesellschaftsordnungen sei. Nur sie führe zu einem größtmöglichen "Wohlstand der Nationen", der ein Wohlstand aller sei.
Der Prozess, der dieses erreichen sollte, ist dabei die Konkurrenz jeder und jedes Einzelnen, also das Spiel von Angebot und Nachfrage auf dem Markt. Wenn nur jeder und jede Einzelne versuche, möglichst das Beste für sich allein zu erreichen, wäre damit der Gesellschaft am meisten gedient. In dieser Tradition argumentieren bis heute Politiker und Ökonomen, wenn sie behaupten, dass möglichst freie Märkte alles für alle zufriedenstellend regelten.
Interessant an dieser Stelle: Zwar ist bspw. Adam Smiths Loblied auf die Arbeitsteilung heute noch sehr wohl bekannt, nicht aber seine Verurteilung ihrer inhumanen Auswirkungen, die die Menschen "so stumpfsinnig und einfältig" machen, "wie ein menschliches Wesen nur eben werden kann". Das aber müsse, so meint er, "in jeder entwickelten und zivilisierten Gesellschaft" durch Regierungsmaßnahmen verhindert werden, die die zerstörerische Macht der "unsichtbaren Hand" des Marktes überwänden. Auch seine Annahme, von der Regierung getroffene Regelungen "zugunsten der Arbeiter" seien "immer gerecht und billig", nicht aber jene "zugunsten der Herren", wird heute kaum mehr zur Kenntnis genommen. Ergo: So hundertprozentig "frei" waren die "freien Märkte" selbst in Adam Smith' Theorie nicht, nur weiß (bzw. berücksichtigt) das heute kaum jemand mehr.
Später wurde, dieser (liberalen) Denkrichtung folgend, von Ökonomen schließlich erklärt, dass in einer Wirtschaft, die nur freie Märkte kenne, keine Krisen mehr vorkämen und keine Arbeitslosigkeit entstehen kann. Das deshalb, weil sich durch die Konkurrenz aller und freie Preisbildung auf den Märkten Angebot und Nachfrage stets im Gleichgewicht einpegelten, in Einklang befänden. Jede Maschine, jede Anlage, jede Arbeitskraft würde also voll und ganz ausgenutzt, und jedem ginge es maximalst gut.
Das Glücksversprechen des klassischen Liberalismus war also maximaler Wohlstand (verbunden mit maximaler Freiheit) für alle.
Ein schwarzer Freitag und seine Folgen
Die tatsächlichen Folgen freier Märkte wurden dann im ersten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts offenbar: Die Kräfte des Marktes waren nicht in der Lage, die Produktionsmöglichkeiten, die durch technischen Fortschritt entstanden waren, auszunutzen. Immer weniger Menschen konnten in der gleichen Zeit immer mehr produzieren. Aber die Gesamtnachfrage nach Waren und Dienstleistungen stieg nicht im selben Maße an. Unter anderem, weil die steigende Arbeitslosigkeit die Löhne und somit die Nachfrage des Großteils der Bevölkerung senkte, spitzte sich die Lage immer weiter zu.
Am 25. Oktober 1929 bricht schließlich das gesamte auf freien Märkten basierende Wirtschaftssystem in sich zusammen. Innerhalb einer Woche sinken die Aktienkurse an der New Yorker Börse in den Keller. Allein in diesen Tagen entstehen Verluste im Wert von rund 60 Milliarden US-Dollar. Der Markt hatte nicht gehalten, was versprochen war.
In der Folge sank die Produktion auch in Deutschland nahezu um die Hälfte, in der Stahlindustrie, dem einstigen Motor des Aufschwunges, sogar um 60%. Während sämtliche Produktionszweige rapide an Eigendynamik verloren, stieg die Arbeitslosigkeit bis 1932 auf 44%. Nahezu jeder und jede zweite war arbeitslos.
Die Weltwirtschaftskrise von 1929 meißelte damit den lebendigen Beweis für das in die Weltgeschichte ein, was im Gedankengebäude der Marktschreier niemals vorgesehen war: Ein aus seinen eigenen Funktionsmechanismen heraus aus dem Gleichgewicht fallender Markt, der sich zu allem Überfluss im Laufe der Zeit auch noch selbst weiter destabilisiert anstatt auf ein neues Gleichgewicht zuzustreben.
Weltweit nahmen in den nächsten Jahren Chaos, Armut und Arbeitslosigkeit zu.
Das Gegenkonzept:
Wo der Markt versagt, wird die Gesellschaft aktiv
Durch die Weltwirtschaftskrise wurde auch der Ausgangspunkt für eine neue, andere Analyse des Wirtschaftsprozesses geliefert: John Maynard Keynes (1883 – 1946) schrieb nach ihr und vor der Zeit des Zweiten Weltkrieges seine "Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes", die 1936 erstmals erschien.
Kurz zusammen gefasst, bestimmt diese das Verhältnis von Staat und Wirtschaft neu: Wenn der Markt allein nicht in der Lage ist, für Vollbeschäftigung und steigenden Wohlstand für alle zu sorgen, dann muss das eben ein demokratisch legitimierter Staat bzw. dessen Wirtschafts- und Finanzpolitik tun.
Und der Markt ist nicht in der Lage, beweist Keynes. Er wäre es nur, wenn alles, was produziert würde, auch wieder einen Käufer fände; das ist aber nicht der Fall: Es wird auch gespart. Und jeder Euro, der gespart wird, stellt einen Euro Sozialprodukt dar, der bereits hergestellt wurde, dem Wirtschaftsprozess nun aber entzogen wird.
Das Problem des "freien Marktes" ist also jenes, das einerseits (Reichtum an-) gespart wird und dieses gesparte Einkommen verhindert, was für einen funktionierenden Markt ausschlaggebend ist: dass auch alles verkauft werden kann. Andererseits wird das gesparte Einkommen aber auch nicht in vollem Umfang zum (Re-)Investieren benutzt. Womit schließlich eine Lücke zwischen produzierten und nachgefragten Waren entsteht, auf Seite der Sparenden zunehmend Reichtum, auf Seite der Nicht- oder Weniger-Sparenden wachsende Armut entsteht.
Der Weg zu wachsendem Wohlstand:
Der aktive Staat und Verteilungspolitik
Um diese Lücke zu schließen ist, so Keynes, eine Umverteilung der Einkommen von oben nach unten, mindestens jedoch aktives staatliches Handeln vonnöten.
So könnte der Staat bspw. dafür sorgen, dass mittels Steuerpolitik (also bspw. einer Senkung der Mehrwertsteuer, die den Ärmeren zu Gute kommt – sowie einer stärkeren Besteuerung großer Vermögen, die de facto nicht konsumrelevant wird) Geld "umverteilt" wird. Weil ärmere Leute mehr von ihrem Einkommen ausgeben, stiege somit der Konsum – und schlösse sich die Lücke zwischen produzierten und nachgefragten Waren, die das alleinige Marktwalten ansonsten bewirkt.
Oder aber der Staat verschuldete sich kurzfristig, um Investitionen zu tätigen und bspw. selbst Arbeitslose einzustellen, öffentliche Dienstleistungen auszubauen oder ähnliches. Auch hierdurch stiege, da die konsumrelevanten Menschen mehr Geld in die Hand bekämen, der Konsum und somit der Wohlstand an.
Eine solche (nachfrageorientierte) Wirtschaftspolitik sorgte nicht mehr nur für steigenden Wohlstand einer Gruppe von Menschen auf Kosten anderer. Denn es würde das dem Konsum zugeführt, was sonst gar nicht erst hergestellt worden wäre, wenn unter rein privatwirtschaftlichen Kriterien gewirtschaftet würde: bspw. für den Markt selbst nicht "rentable" soziale Sicherung, Jugendzentren, Parkanlagen, Umweltschutz etc.
Eben diese Möglichkeit, Wirtschaft und Gesellschaft zu organisieren, ist aber auch der Grund dafür, dass es nicht so gemacht wird. Denn ein so gemachter moderner Wohlfahrtsstaat stünde auf einer einzigen Grundlage: einer Reduzierung der Gewinnansprüche der Wirtschaft. Nicht Lohnverzicht, wie von Politikern gerne verkündet wird, schafft Arbeitsplätze; nein, Gewinnverzicht - und hierdurch ermöglichte Konsumsteigerung. Doch daran ist, wen wundert's, die Wirtschaft einfach wenig interessiert.
Eben darum hat dieses Wirtschaftskonzept auch eine Reihe von Menschen auf den Weg gebracht, ihm etwas entgegenzusetzen.
Der Nachfolger und sein Glücksversprechen:
Neoliberalismus und maximale Freiheit für alle
Als eben dieses Gegenkonzept zu einer keynesianisch-orientierten Gesellschaftspolitik sowie als Neukonzeption des klassischen Liberalismus tritt nun der Neoliberalismus auf den Plan.
Hatte sich der klassische Liberalismus noch mit dem Glücksversprechen vom maximalen Wohlstand für alle seine Rechtfertigung geholt, wendet sich der Neoliberalismus von diesem Versprechen nun ab. Denn eines ist klar: Eine nur auf Marktmechanismen und Konkurrenz basierende Gesellschaft wird nicht den maximal möglichen Wohlstand im Sinne eines möglichst großen und an alle Mitglieder der Gesellschaft verteilten Gesamtproduktes hervorbringen.
Neoliberalismus wird damit begründet, dass jetzt nicht mehr maximaler Wohlstand versprochen wird, sondern maximale Freiheit für alle. Und es wird behauptet, dass der Markt die einzige Möglichkeit sei, das Überleben und den Fortschritt der Menschheit zu sichern.
Einer der großen neoliberalen Vordenker ist dabei Friedrich August von Hayek (1899 – 1992), der 1974 für seine Ideen sogar den Nobelpreis erhielt. Dieser meint, die keynesianische Wirtschaftstheorie würde letztlich in Zwang und Unfreiheit münden und bezeichnet Keynes Werk daher auch schlichtweg als den "Weg in die Knechtschaft".
Kurz zusammengefasst ist die Hauptforderung des Neoliberalismus (und der Neoliberalen) ganz allgemein: Markt statt Politik! Gefordert wird eine Gesellschaft, in der am besten alles und jedes nur durch Tausch auf "freien", das heißt nicht regulierten Märkten, organisiert wird. Aber nicht nur Tausch von Waren gegen andere ist hier gemeint; alles soll hier eine Ware sein: Gesundheit, Altervorsorge, Bildung. Wer es sich leisten kann, kauft ein. Wer nicht, eben nicht. Das ist auch der entscheidende Unterschied zum klassischen Liberalismus, der dies (noch) nicht so forderte und sah.
Auch die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser soll also bspw. durch private Anbieter abgedeckt werden. So bereits geschehen im April 2000 in Bolivien (Südarmerika). Wo aber private Unternehmen etwas anbieten, fordern sie Profit. Und eben hierdurch stiegen die Wasserpreise in Bolivien nach der Privatisierung um ca. 20%. Was nun mit den Bauern ist, die sich das Wasser nicht mehr leisten können? Nun, die sind ja wenigstens noch "frei".
Zentral für alle neoliberalen Argumentationen ist die Annahme, dass Markt und Wettbewerb trotz ihrer Unfähigkeit, für maximalen Wohlstand zu sorgen, immer noch besser seien als Politik und demokratische Entscheidungen. Nicht Demokratie, nicht Wahlen sollen über die Zukunft der Gesellschaft entscheiden, allein der Markt soll dieses noch tun. Vorher muss mensch ihn nur noch von den "Fesseln der staatlichen Bürokratie" sowie ggf. den "Fesseln der Politik" befreien. Die Parlamente sollen keine Entscheidungen mehr treffen können, die die Unternehmen zu irgendetwas zwingen, was sie nicht wollen. So zum Beispiel Umweltschutzauflagen, Arbeitsvorschriften, Mindestlöhne, Sozialversicherung etc. Wenn die Unternehmer diese nicht wollen, hat es "der Markt" eben so bestimmt.
Infolgedessen werden staatliche Leistungen und Betriebe privatisiert, also verkauft. Es darf keine öffentlichen (kostenlosen) Dienstleistungen mehr geben. Und wenn der Markt selbst hiernach kein entsprechendes Angebot (in diesem Falle nun bspw. Post, Wasser, Energie, Bildung, Telekommunikation) hervorbringt, dann hat das so auch seine Richtigkeit.
Keinesfalls darf der Staat durch Steuergesetze oder ähnliches in die Einkommensverteilung eingreifen: Eine Umverteilung der Einkommen ist vollkommen zu unterlassen. Jeder und jede hat (einzig), was er oder sie verdient. Wer arm ist, ist selbst hierfür verantwortlich – und würde der Staat Arbeitlose unterstützen, würden diese somit nur zur Faulheit motiviert.
Wichtig bei allem ist, dass die "Freiheit" des Neoliberalismus einzig so genannte negative Freiheit ist. Das meint: Freiheit von, aber nicht zu etwas. Positive Freiheit würde bspw. in Bezug auf die Berufs- und Studienplatzwahl bedeuten, dass mensch sich aussuchen kann, was er oder sie arbeitet und studiert – und die Gesellschaft hierzu die notwendigen Voraussetzungen schafft. Negative Freiheit in Bezug auf die Studien- oder Berufswahl bedeute nur: Dass niemand einen zwingen kann und wird, zu arbeiten oder zu studieren, mensch also "frei" ist – und ohne Zwang.
Dabei lässt dieser negative Freiheitsbegriff bspw. Chancengleichheit vollkommen außer Acht: Zwar wird niemand gezwungen, etwas zu tun. Wenn er oder sie von selbst oder seinen bzw. ihren eigenen Bedingungen heraus jedoch nicht in der Lage ist, etwas zu tun, so hat das so zu sein.
Durch diese Freiheit, die in Wirklichkeit "Marktfreiheit" ist, meint Hayek, könne die Gesellschaft ihr eigenes Überleben am besten sichern. Das deshalb, weil er den Markt als Auslesesystem erkennt; ähnlich dem Prinzip von Darwin in der Biologie, in dem sich immer (nur) der Stärkere und Bessere durchsetzt und somit für ein natürliches Überleben der Art sorgt. Dies meint Hayek auch im Marktmechanismus entdeckt zu haben: Das Gute und Überlebensfähige habe Bestand, was oder wer sich hingegen nicht durchsetzen vermag, ist des "Erhaltes" auch nicht wert.
Neoliberalismus und Hochschulpolitik
Neoliberale Praktiken in der Bildungs- und Hochschulpolitik vermag mensch (also) überall dort auszumachen, wo es um einen Rückzug des Staates und/oder Abbau von Mitbestimmungsmöglichkeiten zugunsten von Markt und Marktmechanismen in diesem politischen Betätigungsfeld geht.
Die wichtigsten Schlagworte hierbei sind stets "Eigenverantwortung" und "Wettbewerb" (siehe hierzu auch den Artikel "Eigenverantwortlich weggespart"): Wo nämlich Menschen (SchülerInnen und Studierende) plötzlich "eigenverantwortlich" gemacht werden, wird dem Staat die Verantwortung, sie zu unterstützen und ihnen "positive Freiheit" zu gewähren, also verbindlich gleiche Chancen einzuräumen, entzogen. Um hiernach dann Marktmechanismen einzuführen oder aber zumindest zu simulieren, was, so die Theorie, zu mehr "Freiheit" und Wettbewerb und somit "Qualität" des Bildungswesens führen wird. Ein "freier Markt" im Bildungsbereich setzt also zuerst einmal die "Souveränität" der freien KonsumentInnen voraus, welche wiederum die vorhergehende Reduktion staatlichen Eingreifens und Unterstützens impliziert.
Als konkrete Beispiele für solche Praktiken sind zu allererst – und als zwei Seiten einer Medaille - die Einführung von Studiengebühren sowie die zunehmende Selbständigkeit ("Autonomie") und mit dieser verbundene Konkurrenz der Hochschulen untereinander zu nennen (zu letzterem siehe auch den Studis-Online-Artikel "Unirankings - ein Instrument der Hochschulwahl?"):
Künftig sollen und werden Hochschulen ganz im Sinne des Marktes um Studierende konkurrieren. Diese wiederum werden "frei" gemacht, irgendwoher das Geld für "bessere" und daher zukünftig wohl auch teurere Bildung aufzubringen und sich um diese zu "bewerben".
Wo sie das Geld hernehmen? Das überlässt mensch dem – wenn auch zurzeit noch teilregulierten – Markt, der selbst, wo er Kreditangebote schafft, Profite erwirtschaften will, auf jeden Fall fortan aber die Entscheidung, wer überhaupt ein Stipendium "verdient", mittragen wird. Und dass bzw. ob sie studieren können? Auch das entscheidet zukünftig der Markt. Dort nämlich, wo die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) zunehmend geschwächt und das Auswahlrecht der Hochschulen gestärkt wird, findet ein Abbau "positiver Freiheiten" statt:
In absehbarer Zeit, so sieht es im Moment aus, wird der Staat seine Garantie, dass nach einer gewissen Anzahl von Wartesemestern jeder und jede einmal studieren darf, wohl endgültig aufheben – und wählen fortan nur noch die miteinander in Konkurrenz gesetzten Hochschulen selbst, wer ihrem "Leistungsprofil" sowie ihren Anforderungen und Vorstellungen entspricht, für sie also "profitabel" erscheint und daher studiert.
In der Konsequenz führt der Markt somit zu einer Verschärfung von Ungleichheit: Nicht mehr jeder kann – wie es bspw. die im Grundgesetz postulierte Freiheit der Berufswahl vorschreibt – und wird alles alles studieren; nicht mehr jeder und jede wird den "Vorstellungen" der Hochschulen entsprechen und entsprechen können und/oder die notwendige Finanzierung aufbringen können oder wollen. Und auch nicht mehr jede Hochschule wird es sich leisten können, zu lehren und forschen und unterrichten, wie und was sie will: Die "unsichtbare Hand" des Marktes ("Angebot und Nachfrage") entscheidet fortan darüber, welche Studierenden und eben auch Studiengänge für den Markt "profitabel" sind und damit "Chancen" erhalten.
Ebenso wird sie dafür sorgen, dass es eine Ausdifferenzierung der Studienbedingungen gibt, sich also selbst in gleichen Studien- und Fachrichtungen "gute" und "schlechte" Angebote herausbilden, Studium zukünftig also nicht mehr (wofür bisher der Staat regulierend eingriff) gleich Studium sein wird.
Neoliberalismus und Demokratie
Aufgrund eben dieser Konsequenz (wachsende Ungleichheit) kann die neoliberale Praxis auch durchaus als undemokratisch angesehen werden, stellt die gleiche gesellschaftliche Teilhabe aller doch eben den Grundwert funktionierender Demokratien dar.
Dass dies so ist, darauf macht Friedrich August von Hayek auch gar keinen Hehl: Zwar würde er eine beschränkte demokratische Regierung einer undemokratischen (bspw. also einer Diktatur) vorziehen. Er würde aber eine undemokratische Regierung auch einer unbeschränkt demokratischen vorziehen. Unbeschränkt demokratisch heißt, dass durch Demokratie auch eingegriffen werden kann in die (absolute) Freiheit von Wirtschaft und Produktion, dass bspw. die Arbeiter über die Verwendung der Maschinen mitbestimmen könnten und gesellschaftlich gesteuert bestimmte Bedürfnisse abgedeckt würden.
Das ist es auch, was den Neoliberalismus in den Augen Rechtsextremer so attraktiv macht: Das gesamte neoliberale Konzept spiegelt sich im Gedankengebäude der Rechten wider. Von der "natürlichen Auslese" bis hin zur Einstellung zur Demokratie.
Auch wenn das mit Sicherheit nicht die Position aller Neoliberalen ist: Neoliberalismus ist daher immer auch zu verstehen als ein Angriff auf unsere Demokratie. Denn diese wurde geschaffen mit dem Ziel, jeden Bürger und jede Bürgerin gleichermaßen an der Gestaltung der Gesellschaft zu beteiligen. Und über diese Beteiligung eine mehrheitliche (demokratische) Rechtfertigung staatlichen Handelns zu erzielen: Was die Mehrheit will, das wird von der Regierung gemacht. Das aber ist für Neoliberale ein Graus, vor allem, wo es um politische Einflussnahme in Wirtschaftsprozesse, um Steuern also und ähnliches geht.
Letztlich zeigt sich, dass Neoliberalismus eine Ideologie ist, die nichts anderes versucht, als eine unbeschränkte Autonomie von Geld- und Kapitalbesitzern durchzusetzen. Die Reichen sollen wieder bestimmen, wo es lang geht, der demokratische Staat darf den Besitzenden, den großen internationalen Konzernen und Milliardären keine Fesseln mehr ans Bein legen und sie beteiligen an den Errungenschaften der modernen Zivilisation: An sozialer Gerechtigkeit, an Verteilungsgerechtigkeit und an Sozial- und Wohlfahrtsstaatlichkeit.
Er stellt, so Herbert Schui, ehemaliger Professor für Volkswirtschaftslehre, den Versuch dar, den Kapitalismus (neben allen anderen schließlich auch) von den "Fesseln der Demokratie" zu befreien.
Quellen
IG Metall-Jugend-Broschüre "Neoliberalismus. Ein Gespenst geht um – nicht nur in Europa"
Hinweis: Solange der Vorrat reicht, kann diese Broschüre per E-Mail an dorothee.wolf[ät]igmetall.de kostenlos bestellt werden.- Noam Chomsky: Neoliberalismus und Globale Weltordnung
Weiterführende Literatur
- Neoliberalismus (Wikipedia-Eintrag)
- Ulrich Machold: Die schlechteste aller möglichen Welten (Leitartikel der Welt am Sonntag vom 13. August 2006)
- NachDenkSeiten - Kritisches Tagebuch
- Studie "Öffentliche Dienstleistungen unter Privatisierungsdruck"
- Jens Wernicke: Quo vadis, GATS? Neoliberalismus, Marktversagen und Menschenrechte
- Infobaustein Neoliberalismus der IG Metall-Jugend
- Netzwerk Steuergerechtigkeit: tax us if you can. Wie sich Multis und Reiche der Besteuerung entziehen und was dagegen unternommen werden kann
- Herbert Schui: Neoliberalismus: Theorie, Gegner, Praxis
![]() |
Bitte beachten, dass die Lizenz nur für diesen Artikel-Text und nicht etwa für das ganze Angebot von Studis Online gilt. Nur Artikel, unter denen sich explizit ein solcher Hinweis findet, dürfen im Rahmen der Bedingungen verwendet werden. Es kann bei anderen Artikeln auch von dieser Lizenz abweichende Lizenzen geben, also bitte genau lesen und beachten!