Recht auf Studium bald abgeschafft?Beschränkungen beim Studienzugang nehmen zu
Von Jens Wernicke

Freie Plätze sind bei vielen Studiengänge Mangelware
Studienplatzmangel gibt es in Deutschland seit vielen Jahren. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1972 in einem Grundsatzurteil1 festgestellt: Aus dem in Artikel 12 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes gewährleisteten Grundrecht der Berufsfreiheit2 in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz3 und dem Sozialstaatsprinzip4 folgt prinzipiell ein Recht auf Zulassung zum Hochschulstudium. Einschränkungen dieses Rechts müssen begründet sowie transparent und nachvollziehbar sein. Prinzipiell aber müsse jeder Studienberechtigte auch die Möglichkeit zu einem Studium erhalten.
Ob dies aktuell noch der Fall ist, darf bezweifelt werden, denn: Auf der einen Seite sind die Hochschulen seit Jahrzehnten massiv unterfinanziert5, auf der anderen Seite drängen immer mehr Studienberechtigte an die Hochschulen6 – nicht, nur, aber auch, weil es seit etwa 1995 jährlich hunderttausende Ausbildungsplätze zu wenig in Deutschland gibt7.
Politik schiebt Verantwortung ab
Die Politik reagiert auf dieses Dilemma, das sie eigentlich zwingen sollte, den Hochschulen mehr Mittel zur Verfügung zu stellen, zunehmend damit, die Verantwortung für das Problem den Hochschulen selbst zu übertragen, die es ohne mehr Geld aber gar nicht zu lösen vermögen. "Autonome"8 oder "Selbständige Hochschule"9 nennt die Politik das dann. Gefragt danach, was denn nun mit dem Mehr an Studienbewerbern bei zugleich stagnierenden oder sinkenden Mitteln der Hochschulen sei, antworten sie dann in der Regel, zumindest sinngemäß: "Dafür tragen die Hochschulen jetzt selbst die Verantwortung. Sie können ja Drittmittel einwerben oder die Zulassungshürden erhöhen." Und das tun sie dann auch; beides. Eigentlich haben sie auch gar keine andere Wahl.
"Drittmittel" heißt unter anderem auch: Studiengebühren
So gibt es nicht nur seit etwa 10 Jahren bereits die Blaupause dafür, wie die erst einmal "autonom" gemachten Hochschulen dann selbst verantwortet und flächendeckend Studiengebühren einführen10 sollen, ja, der Logik des Problems zufolge eigentlich müssen. Denn:
Die Zahl der Studienanfänger steigt im Jahr 2011 um etwa 70.000. Hochschulen sehen dem mit Sorge entgegen: "Ohne zusätzliche Unterstützung werden die Universitäten kollabieren", sagte der Präsident des Hochschulverbands der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
FAZ vom 28. November 2010: Steigende Zahl der Studienanfänger. Universitäten schlagen Alarm11
Zahl der Zulassungsbeschränkungen steigt – insbesondere an den Hochschulen selbst
Zudem ist aktuell zu beobachten, wie die Hochschulen mehr und mehr die Zugänge zum Studium verbauen oder zumindest mit höheren Hürden versehen. Schaut man sich die aktuellen Daten der Hochschulrektorenkonferenz (HRK)12, genauer an, wird dies deutlich:
Waren von den "alten" Studiengängen (Diplom, Magister und Staatsexamen) über die Hälfte nicht zulassungsbeschränkt, sind von den Bachelorstudiengängen nur noch 47,9 Prozent "offen" studierbar. Bemerkenswert ist darüber hinaus vor allem, dass die Zahl der zentral vergebenen Studienplätze unter den "alten" Studiengängen 21mal so hoch ist wie unter den "neuen" Bachelorstudiengängen. Kaum überhaupt eine Studienberechtigung für einen Bachelorstudiengang wird offenbar (noch) über die Stiftung für Hochschulzulassung (SfH), vormals Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS), vergeben. Der Institution, die damals als Folge aus dem 1972er Verfassungsgerichtsurteil gegründet wurde, um für Gerechtigkeit bei der Studienzulassung zu sorgen.
Tabelle 1: Zulassungsbeschränkungen in "alten" und "neuen" Studiengängen
Studiengänge insgesamt | keine Zulassungs- beschränkung | lokale Zulassungs- beschränkung | ZVS-Auswahl- verfahren | |
Alle Studiengänge | 8.127 | 3.944 (48,5%) | 4.075 (50,1%) | 108 (1,3%) |
Bachelorstudiengänge | 5.817 | 2.786 (47,9%) | 3.019 (51,9%) | 12 (0,2%) |
andere grundständige Studiengänge (Diplom, Magister, Staatsexamen) | 2.310 | 1.158 (50,1%) | 1.056 (45,7%) | 96 (4,2%) |
Quelle: HRK: 1/2010 Statistische Daten zur Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen - Sommersemester 2010, Seite 19; sowie eigene Berechnungen
Ausgehöhlt wird das grundsätzliche Recht auf Zulassung zum Hochschulstudium dabei wohl insbesondere durch die zunehmende hochschulspezifische Prüfung der Studierenden auf deren "Eignung". Diese ist unter anderem insofern absurd, als dass die "Hochschulzugangsberechtigung" rechtlich eben der formale Nachweis der Studienberechtigung und die "Eignung" mit dieser bereits nachgewiesen ist.
Wenn dann aber nun, wie es aktuell mehr und mehr der Fall ist, Landesregierungen daher gehen und in ihren Hochschulgesetze bestimmen, dass die Hochschulen die Studienbewerber mehr und mehr selbst auswählen13 dürfen, entwertet das sowohl ganz grundsätzlich das Abitur als Hochschulzugangsberechtigung als auch die Möglichkeit, wenn man nicht zu den Noten-Besten im Abitur gehört hat, mittels ein, zwei oder drei Wartesemestern dann doch noch studieren zu können. Mehr oder minder wird durch diese "Selbstauswahl"14 der Hochschulen damit das Recht auf einen Studienplatz prinzipiell untergraben15.
Das der Wind genau in diese Richtung bläst, ist dabei aus Kreisen der HRK dabei schon seit Jahren zu vernehmen:
Möglichst viele Länder sollten Selbstauswahlrecht der Hochschulen auf 50 Prozent ausweiten!
"Die Hochschulen wollen unter den Besten auswählen", so Landfried. "In dem alten Verfahren ist das aufgrund der Nachrangigkeit der Hochschulauswahl nicht möglich. Die KMK hat nun Handlungsspielraum geschaffen, indem sie neben einem Modell, das eine weiterhin nachrangige Hochschulauswahl vorsieht, das 50 Prozent-Modell ermöglicht."
Pressemitteilung der HRK von 7. März 200316
Chaos, Intransparenz und Hürden beim Zugang zum Masterstudium
Damit aber nicht genug. Wirklich gravierend scheinen insbesondere die Hürden zu sein, die den Bachelorabsolventen in den Weg gelegt werden, wenn sie nach dem Bachelor noch einen Master studieren wollen. Nein, präziser muss man eigentlich formulieren: Die Indizien häufen sich, die vermuten lassen, dass immer mehr Landesregierungen und Hochschulen die Zugänge zum Masterstudium verknappen – und dabei nicht nur, aber auch, insbesondere BachelorabsolventInnen von Fachhochschulen diskriminierenxvii. Konkrete Daten zu Zulassungsbeschränkungen der Masterstudiengänge allgemein gibt es dabei nirgendwo im Land, so dass man mit seinen Mutmaßungen im Nebel stochert. Das einzige, was sicher ist, ist, dass sich die Konflikte um den Zugang zum Masterstudium aktuell zuspitzen:
Wollen wir sie reinlassen? Schon, aber auf keinen Fall alle - mal mehr, mal weniger streng sieben Deutschlands Universitäten unter den Bewerbern für ein Masterstudium aus. Mindestens drei Viertel der Bachelor-Absolventen, das zeigen Befragungen, wollen weiter studierenxviii. Klare Übergangsquoten gibt es so wenig wie einheitliche Kriterien: Welche Bewerber sie aufnehmen, entscheiden zumeist die Hochschulen in Eigenregie.
SPIEGEL-Online: Uni-Chaos: Gericht durchlöchert die Master-Sperre19
Die Berliner Zeitung vom 27. Oktober 2010 ergänzt diese Darstellung und wird konkreter:
So hatte sich Kristin W. ihren Semesterstart nicht vorgestellt. Statt im Hörsaal sitzt sie im Jobcenter Neukölln und muss sich rechtfertigen, dass sie ihr Lehramtsstudium unterbrechen muss. Um als Lehrerin zu arbeiten, bräuchte die 24-Jährige nach ihrem Bachelor-Studium an der Berliner Humboldt-Universität noch den Master-Abschluss. Doch nun steht sie ohne Studienplatz da. Dabei glaubte sie, diesen mit ihrem Bachelor-Abschluss von 1,8 sicher zu haben. Doch die Hürde für den Masterplatz schnellte dieses Semester auf einen Notenschnitt von 1,2 - so hoch, dass auch ein überdurchschnittlicher Bachelor-Abschluss nicht mehr ausreicht, um weiterstudieren zu können. Nun muss Kristin W. Hartz IV beantragen und sich als Hilfslehrerin bewerben, um ihre Miete bezahlen zu können.
Berliner Zeitung vom 27. Oktober 2010: Hartz IV statt Master-Studium20
Der »freie zusammenschluß von studentInnenschaften« (fzs), der bundesweite Dachverband von Studierendenvertretungen, lässt in diesem Zusammenhang verlauten:
Wir gehen davon aus, dass es zum gerade begonnenen Wintersemester bundesweit über tausend Betroffene gibt. Das ist aber erst der Anfang. Gegenwärtig schließen noch sehr viele Studierende mit Diplom oder Magister ab. Erst im nächsten Jahr wird das Gros der ersten Generation von Bachelor-Studierenden fertigwerden und in großer Zahl einen Master anstreben. Dann wird der Mangel auf alle Fälle zum Massenphänomen. Wir rechnen mit Zehntausenden, die gezwungenermaßen zunächst kein Master-Studium aufnehmen können.
Nirgendwo wird erfasst, wie viele Master-Plätze tatsächlich benötigt werden. Die Hochschulen entscheiden auf eigene Faust über die Bereitstellung des Angebots. Es gibt keinerlei übergreifende, geschweige denn eine bundesweite Koordination. Im Klartext: Es gibt insgesamt zu wenig Lehrpersonal. Das Problem ballt sich nun beim Master, da diese Studiengänge später entwickelt wurden. Zusätzlich rächt sich, dass man die Nachfrage der Bachelor-Absolventen nach Master-Plätzen einfach grob unterschätzt hat.
Der Bund könnte als ersten Schritt eine bundesweit gültige Master-Zugangsregelung beschließen. Das Master-Problem kann nicht allein durch bessere Verteilung der hochschulinternen Kapazitäten gelöst werden, in dieser Hinsicht ist schon fast alles ausgereizt. Es ist einfach mehr Geld von außen nötig, und dafür bedarf es einer Föderalismusreform III.
Florian Keller, Mitglied im Vorstand des fzs21
Was tun?
Nimmt man die sich häufenden Probleme ernst, muss eines eigentlich umgehend geschehen: Hochschulen und Politik müssen transparent machen, wie die Zugänge zum Masterstudium geregelt sind – vor allem aber, wie vielen Bachelorabsolventen eigentlich wie viele Masterstudienplätze gegenüberstehen.
Hiernach wäre die Auseinandersetzung darüber zu führen, ob man auf einen "Master für alle beharrt", weil ganz offensichtlich nur dieser wirklich berufsqualifizierend ist und die Qualität der bisherigen, "alten" Studiengänge in etwa abzubilden vermag. Oder aber, ob der Master wirklich nur wenigen vorbehalten bleiben soll.
Die Positionen sind dabei klar verteilt.
Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) meint:
Als erster berufsqualifizierenden Abschluss ist der Bachelor der Regelabschluss eines Hochschulstudiums und führt damit für die Mehrzahl der Studierenden zu einer ersten Berufseinmündung.
10 Thesen zur Bachelor- und Masterstruktur in Deutschland. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 12.06.200322
Zuvor hatte bereits der Wissenschaftsrat formuliert23, dass "differenzierte Abschlüsse […] nur dann einen Sinn" machen, "wenn nach einem berufsqualifizierenden Abschluss der unmittelbare Abschluss eines weiteren Studienprogramms mit dem Ziel einer höheren Qualifizierung im Fach nicht als Regelfall vorgesehen wird".
Letztlich geht es hierbei um nichts anderes als eine Verkürzung der akademischen Ausbildung und schließlich eine Verbilligung eben dieser als auch der Arbeitskraft der entsprechenden Absolventen.
Was hier seitens der Hochschulen und Regierenden praktiziert wird, ist also vor allem als eines zu interpretieren: als Bildungskürzung. Während vor einigen Jahren noch jeder und jede Studierende in der Regel 5 Jahre Zeit hatte, sich zu bilden und qualifizieren, soll "die Mehrzahl der Studierenden" ab sofort nach 3 Jahren die Hochschulen verlassen müssen – wenn der Bachelor zum Regelabschluss geworden ist.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert stattdessen:
Freier Zugang zum Masterstudium!
"Die Länder müssen endlich die Karten auf den Tisch legen: Haben die Hochschulen morgen ausreichend Masterstudienplätze für die Bachelor-Studierenden von heute? Der Bund muss per Gesetz dafür sorgen, dass alle Zugangshürden beim Masterstudium fallen", erklärte das für Hochschulen verantwortliche GEW-Vorstandsmitglied Andreas Keller [...] mit Blick auf die Ereignisse in Köln. An der dortigen Universität reicht laut Presseberichten im Studiengang Betriebswirtschaftslehre nicht einmal die Bachelor-Note 2 für einen Masterplatz, zwei Drittel der Absolventinnen und Absolventen dürfen nicht weiterstudieren.
Pressemeldung der GEW vom 18. August 201024
Druck entsteht aktuell jedoch auch von ganz anderer Seite. Denn wie es ausschaut, sind zunehmend auch Gerichte der Meinung, dass die oftmals willkürlichen und intransparenten Vergabekriterien einzelner Hochschulen nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind, so dass aktuell festgehalten werden kann, dass ein Recht auf Zugang zum Master für viele Bachelorabsolventen momentan womöglich einklagbar ist.
- Interview: Recht auf Masterstudienplatz kann einklagbar sein (22.11.2010)
- Rechtsgutachten: Master-Zulassung darf nicht von Bachelor-Note abhängen
- Der Bologna-Prozess zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
Die europäischen Ziele und ihre Umsetzung in Deutschland. Eine Expertise im Auftrag der Max-Traeger-Stiftung
Fußnoten
1 http://de.wikipedia.org/wiki/Numerus-clausus-Urteil
2 http://de.wikipedia.org/wiki/Berufsfreiheit
3 http://de.wikipedia.org/wiki/Gleichheitssatz
4 http://de.wikipedia.org/wiki/Sozialstaatsprinzip
5 https://www.studis-online.de/HoPo/art-1123-studienplatzmangel.php
6 http://www.fibs.eu/de/sites/jumpto.php?in_adr=presse/_wgHtml/presse_101027.htm
7 http://www.ausbildung-fuer-alle.de/die_situation/ausbildungsmarkt.htm/
8 http://www.bmbf.de/press/2044.php
9 www.hmwk.hessen.de/... (sehr lange URL)
10 http://www.che.de/downloads/Gebuehren_rektoren.pdf
11 http://www.faz.net/-01kobo
12 https://www.studis-online.de/StudInfo/Glossar/HRK-Hochschulrektorenkonferenz.php
13 http://www.uni-protokolle.de/nachrichten/id/121158/
14 http://www.spiegel.de/spiegel/unispiegel/d-20424058.html
15 Im Wortlaut liest sich das dann bspw. wie folgt – so nachzulesen in § 54 Absatz 4 des Hessischen Hochschulgesetzes" :
Durch Satzung kann festgelegt werden, welche studiengangspezifischen Fähigkeiten und Kenntnisse neben der Hochschulzugangsberechtigung zu Beginn des Studiums nachgewiesen werden müssen und in welchem Verfahren der Nachweis erfolgt. Die Hochschule kann Studienbewerberinnen und -bewerber mit dem Vorbehalt einschreiben, dass innerhalb der ersten beiden Semester der Nachweis nach Satz 1 geführt oder ein in der Prüfungsordnung vorgesehener Leistungsnachweis erbracht wird.
16 http://www.hrk.de/de/presse/95_644.php
17 http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,725413,00.html
18 http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,653950,00.html
19 http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,729727,00.html
20 http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2010/1027/politik/0042/index.html
21 http://www.jungewelt.de/2010/10-29/056.php
22 http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2003/2003_06_12-10-Thesen-Bachelor-Master-in-D.pdf
23 http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/4418-00.pdf
24 http://www.gew.de/GEW_Freier_Zugang_zum_Masterstudium.html