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Südpfälzer Studierende in Aufruhr
Volle Seminare, kaum Lehrpersonal, veraltete Bücher: An der Universität Landau wird seit über einer Woche gegen die desolaten Studienbedingungen protestiert. AStA-Vorsitzende Marleen Gruber spricht im Interview mit Studis Online über Gründe, Ziele und Aussichten des Streiks – und ihre Hoffnung, dass er Nachahmer findet.

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Studentischer Protest in Landau - Unser Interview beleuchtet die Hintergründe
Studis Online: An der Universität in Landau in der Südpfalz sind seit Anfang vergangener Woche Proteste wegen der, wie es heißt, „miserablen“ Studienbedingungen im Gange. Los ging es mit der Besetzung von Gebäuden, dann folgte am Donnerstag ein „Generalstreik“, mit dem der ganze Unibetrieb für einen Tag lahmgelegt wurde. Wie geht es in dieser Woche weiter?
Marleen Gruber: Es wird erst einmal ruhiger werden. Wir haben viel zu planen und zu organisieren. Die Studierenden haben sich in zahlreiche Arbeitsgruppen zusammengefunden und arbeiten an weiteren kreativen Streikaktionen, einem Programm für das besetzte Audimax oder an diversen selbstorganisierten Veranstaltungen rund ums Thema Bildung. Das Hauptziel bleibt dabei aber klar die Fahrt nach Mainz, um vor dem Bildungsministerium zu demonstrieren.
Wann soll es soweit sein?
Am 16. Dezember wird im Landtag der Haushaltentwurf für das kommende Jahr beraten. An diesem Tag wollen wir den Damen und Herren Abgeordneten einen Besuch abstatten und vor Ort eine Kundgebung abhalten, zu der wir im ganzen Land mobilisieren. Unser Ziel ist es, lautstark für eine bessere Ausfinanzierung der Hochschulen zu demonstrieren. Das hat das Plenum am Donnerstag vergangener Woche beinahe einstimmig beschlossen.
Wie zu hören ist, erwarten Sie bereits in dieser Woche hohen Besuch aus der Landeshauptstadt.
Ja, für Mittwoch hat sich die stellvertretende Ministerpräsidentin Eveline Lemke von den Grünen angekündigt. Sie wird sich in einer offenen Debatte den Fragen der Studierenden stellen. Auch andere Politikerinnen und Politiker haben sich bei uns gemeldet und bieten uns Gespräche an. Am Freitag wird dann die Landes-Asten-Konferenz Rheinland-Pfalz bei uns in Landau stattfinden. Aufgrund der aktuellen Geschehnisse hatte die LAK schon Ende der zurückliegenden Woche beschlossen, zu uns nach Landau zu kommen. Jetzt wollen wir im Audimax zusammen beraten, wie wir unsere Kräfte bündeln. Denn auch an den anderen Hochschulen in Rheinland-Pfalz gibt es viel Kritik an den herrschenden Zuständen.
Die Aktionen der Vorwoche haben bundesweit Aufmerksamkeit erregt. Vor allem in den sozialen Netzwerken waren sie ein großes Thema, aber selbst überregionale Zeitungen wie die Berliner Morgenpost haben darüber berichtet. Wie viele Studierende haben mitgemacht bei den Protesten?
Die Beteiligung war absolut überwältigend. Schon am Montag waren weit über 400 Studierende auf die Vollversammlung gekommen, bei der unser Streik spontan beschlossen wurde. Am Donnerstag – auf dem bisherigen Höhepunkt des Streiks, als die komplette Uni blockiert wurde – waren um die 1.500 Studierende auf der Straße, an den Außenstellen und auf dem Campus. Die Plenumssitzungen an den Abenden brachten selbst das Audimax an die Grenzen seiner Belastbarkeit. Zusammen mit den Leuten, die unserem Plenum am Donnerstag im Livestream folgten, nahmen über 3.000 Menschen an der Versammlung teil.
In dieser Woche ist die Beteiligung zwar immer noch gut, aber nicht mehr so gewaltig. Das liegt einerseits an Wind und Wetter, aber auch an der Tatsache, dass keine so großen Aktionen anstehen. Aber nach wie vor sind das Interesse, die Eigeninitiative und das Engagement unter den Studis ungebrochen.
Was ist mit denen, die sich nicht an den Protesten beteiligen?
Selbst diejenigen, die nicht ganz so von den schlechten Zuständen betroffen sind, spüren, dass viele ihrer Kommilitoninnen und Kommilitonen schwer zu kämpfen haben mit den Bedingungen. Das schweißt zusammen. Wirklich frustriert von den Protesten haben sich die allerwenigsten gezeigt. Auch von denen, die nicht so begeistert waren, kamen zumeist konstruktive Vorschläge, wie man den Ausstand weniger schmerzhaft gestalten kann. Wobei natürlich jedem klar war, dass bei einem Streit alle Beteiligten ein paar Federn werden lassen müssen.
Warum wurde die Besetzung von Unigebäuden nach vier Tagen beendet?

Unsere Interviewpartnerin Marleen Gruber studiert an der Universität Koblenz-Landau, Standort Landau, und ist dort Vorsitzende des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA).
Die Besetzung ist nur teilweise beendet. Das Streikplenum hat am Donnerstagabend fast einstimmig beschlossen, die beiden Verwaltungsgebäude wieder frei zu geben und das Audimax weiter besetzt zu halten. Wir haben in der Diskussion festgestellt, dass nach vier Tagen eine weitere Blockade der Verwaltungen – wo sich auch Labore, Hiwi-Büros und Seminarräume befinden – unserem Ziel nicht mehr lange zuträglich gewesen wäre. Wir wollten nicht Doktorandinnen und Doktoranden oder Studis, die beispielsweise Versuche in den chemischen Laboren durchführen müssen, vor den Kopf stoßen, indem man weiter stur die ganze Lehre blockiert. Und wie gesagt: Das Plenum hat am selben Abend ja auch den Beschluss gefasst, dass wir nach Mainz mobilisieren wollen, um unseren Protest direkt vor das Bildungsministerium und den Landtag zu tragen. Wir haben also sozusagen einen Teil unserer Kräfte abgezogen, um uns besser auf die Vorbereitung der Demo konzentrieren zu können.
Was war eigentlich der Auslöser der Proteste? Oder war die Sache schon länger geplant?
Die Ursache ist die absolut mangelhafte finanzielle Ausstattung unserer Uni. Wir haben zu wenig Lehrpersonal, momentan kommen auf eine Lehrkraft 95 Studierende. Die Seminare sind oft unvorstellbar überfüllt, es kommt sogar vor, dass Studierende von draußen am offenen Fenster Kurse verfolgen. Außerdem gehört die Unibibliothek zu den mit Abstand schlechtesten in ganz Deutschland. Es gibt nur einen extrem begrenzten Zugang zu wissenschaftlichen Zeitschriften und der Bücherbestand ist in manchen Bereichen hoffnungslos veraltet.
Der Auslöser für die Proteste war aber die Vollversammlung am Montag vor einer Woche. Dort wollte der AStA die Studierenden eigentlich nur über die vielen Missstände informieren. Die Versammlung war extrem gut besucht, so wie schon lange nicht mehr. Nach der Bestandsaufnahme der Missstände, von denen es noch viele mehr als die genannten gibt, kam dann sehr schnell der Ruf nach Streik. Keine 15 Minuten später wurden die Verwaltungstürme besetzt. Wir im AStA sind uns eigentlich immer noch nicht ganz klar darüber, wie das alles genau passiert ist.
Also ein ganz spontaner Streik?
Ja, absolut. Wir wollten eine nette Infoveranstaltung durchführen und am Ende eine kleine kreative Aktion mit den Studis machen. Sie sollten die Dinge, die sie an der Uni stören, auf Papiersprechblasen schreiben und dann im Atrium auf Aufsteller kleben. Diese Sprechblasen kleben jetzt überall auf dem Campus und erinnern uns alle daran, dass es hier etliche ungelöste Probleme gibt.
Welche sind das, neben vollen Hörsälen und veralteten Büchern?
Es gibt kaum festangestellte Professorinnen und Professoren. Daraus resultieren massive Verzögerungen im Studium und Stress mit dem BAföG-Amt. Wir erleben eine Hochschulleitung, die die Probleme viel zu lange ignoriert hat, und ein Bildungsministerium, das sich nicht einmal dazu durchringen kann, überhaupt anzuerkennen, dass es eine Notlage gibt. Damit schlagen wir uns in Landau schon seit Jahren herum. Immer werden wir auf den Sankt Nimmerleinstag vertröstet und irgendwann ist halt mal Schluss. Das sagen uns die Studis aus den unterschiedlichsten Fachbereichen nun schon seit über einer Woche jeden einzelnen Tag.
Inwieweit hat sich die Situation in jüngeren Jahren verschärft?
Es kommen immer mehr Menschen zum Studieren nach Landau, was wir im AStA natürlich total begrüßen. Wer studieren möchte, soll das unbedingt tun dürfen. Aber die Unileitung hat offensichtlich jedes Maß verloren. Trotz des Andrangs werden seit Jahren keine neuen Seminarräume zur Verfügung gestellt oder sonstige Verbesserungen bei der Ausstattung vorgenommen. In diesem Wintersemester hat der Campus dann mit rund 1.350 Erstsemestern alle Rekorde gebrochen. Die Uni war ursprünglich einmal für etwa 3.000 Studierende konzipiert. Heute studieren hier 7.500 Menschen, aber die seit 1990 geschaffenen Außenstellen und Neubauten reichen hinten und vorne nicht, um den Bedarf zu decken.
Dabei wollen wir in aller Deutlichkeit klar machen: Elitäre oder wirtschaftschauvinistische Maßnahmen, wie die Verschärfung von Zulassungsbeschränkungen oder Studiengebühren lehnen wir strikt ab. Wir wünschen uns eine Universität, die endlich angemessen ausfinanziert wird, damit jeder Mensch, der in Landau ein Studium aufnehmen möchte, das auch kann und das zu möglichst optimalen Bedingungen.
Landau ist einer von zwei Standorten Ihrer Universität. Wie ist die Lage auf dem Campus in Koblenz?
Wir stehen in gutem Kontakt zu unserem Schwestercampus. Am Montag vor einer Woche waren die AStA-Mitglieder aus Koblenz bei uns und berichteten von Zuständen, die zwar auch schlecht, aber nicht ganz so dramatisch sind wie hier in Landau. Die Koblenzer sind auf alle Fälle solidarisch und sie wissen, dass unser gemeinsames „Problem“ im Bildungsministerium sitzt. Und deshalb werden wir auch gemeinsam nach Mainz fahren, um zu demonstrieren!
Wie sieht es an den anderen Hochschulstandorten im Land aus?
Uns haben Solidaritätsbekundungen aus Mainz und Trier erreicht. Auch dort sind die Bedingungen nicht gut, wenngleich auch nicht so prekär wie hier. Aber noch einmal: Die Mangelausstattung an den Hochschulen ist ein landes- und bundesweites Problem.
Gibt es auch Unterstützung seitens des Lehrpersonals?
Als die Proteste losgingen, haben uns viele Studis sofort geschrieben, dass ihre Dozentinnen und Dozenten sie sogar dazu aufgefordert hätten, am Streik teilzunehmen. Zum Teil wurde ihnen sogar offiziell genehmigt, sich uns anzuschließen. Vorlesungen wurden unterbrochen, Seminare vorsorglich abgesagt, mit der Bitte, den Protest zu unterstützen. Natürlich gab es auch viele, die keine Streikbeteiligung duldeten und sich völlig verständnislos zeigten, als man sie am Zugang zu ihren Büros hinderte. Dennoch hat uns der Zuspruch so vieler Lehrender sehr überrascht und extrem gefreut.
Es war zu lesen, dass eine Abordnung des AStA im Mainzer Bildungsministerium empfangen wurde und dort erste Lösungsansätze gefunden worden seien. Worin bestehen die?
Für den vergangenen Dienstag war schon länger ein Gespräch im Bildungsministerium zwischen der Unileitung, mir – der AStA-Vorsitzenden – und den politisch Verantwortlichen vereinbart. Deshalb hatten wir unsere Vollversammlung auch am Montag durchgeführt, um die Stimmung bei den Studis abzufragen und mir so den Rücken zu stärken. Die Proteste im Anschluss halfen uns natürlich dabei, unsere Positionen zu unterstreichen, waren aber nicht in diesem Kontext geplant, eher im Gegenteil.
Uni-Präsident Roman Heiligenthal hat sich in einer Stellungnahme besorgt geäußert über „die Entwicklung, die der Streik nach den konkreten Erfolgen im Ministerium“ nehme. Das Streikziel wandele sich offenbar von Verbesserungen am Campus Landau in „Richtung Durchsetzung allgemeiner hochschulpolitischer Forderungen“.
Dem werden Sie nicht widersprechen, oder?
Ganz bestimmt nicht. Alle unsere Forderungen sind allgemeine hochschulpolitische Forderungen, was auch erklärt, warum Studierenenvertreterinnen und -vertreter aus der ganzen Republik sich mit den Protesten in Landau identifizieren können und solidarisch erklären. Es bestehen überall ganz ähnliche Probleme. Wir hoffen, zusammen mit der Unileitung und dem Ministerium konkrete Verbesserungen an unserem Campus umzusetzen – denn dafür haben uns die Studierenden schließlich gewählt. Alle Forderungen, die wir formulieren, halten wir für richtig, und wir glauben, dass sie nicht ohne weiteres abgekanzelt werden können. Wir wagen es zu träumen: von Unis, die ausfinanziert sind, die für alle gleich zugänglich sind, von Studierenden, die nicht drei Jobs brauchen, um ihr Studium zu beenden, oder eben von Seminaren, die nicht heillos überfüllt sind.
Mit welchen konkreten Forderungen wollen Sie nach Mainz ziehen?
Es braucht genügend Seminare und Lehrveranstaltungen für alle bei einer Teilnehmerzahl von maximal 30. Es müssen zusätzliche Kapazitäten geschaffen werden, damit möglichst alle ihr Studium in der Regelstudienzeit abschließen können. Jedem Bachelor-Studierenden muss ein Master-Studienplatz garantiert werden. Es müssen deutlich mehr unbefristete Stellen mit voller Bezahlung im Mittelbau geschaffen werden. Die Lehrverpflichtung für Promovierende muss auf maximal zwei Semesterwochenstunden reduziert werden. Das Studienangebot soll in Gänze erhalten bleiben. Alle Räume, Ausstattung und Materialien für die angebotenen Studiengänge müssen standortnah zur Verfügung stehen. Es bedarf eines Masterplans bezüglich der Bibliothek. (Unterstützen könnt Ihr den Protest mittels einer
Petition hier.)
Hat Ihr Protest das Zeug zu mehr? Gerade hat das Statistische Bundesamt mit 2,8 Millionen Studierenden an Deutschlands Hochschulen einen neuen Rekordwert vermeldet. Könnte der Streik in Landau „ansteckend“ auf andere Unis wirken?
Auf alle Fälle glauben wir, dass wir in Rheinland-Pfalz etwas ins Rollen gebracht haben. Ob mehr daraus wird, müssen die nächsten Wochen zeigen. Es würde uns ohne Frage freuen, wenn unser Beispiel Nachahmer findet und daraus eine stärkere Bewegung wird. Das ist aber immer die Entscheidung der Studierenden vor Ort. Wir bleiben erstmal dabei, dass wir streiken.
(rw)
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